Handbuch der praktischen Genealogie/384: Unterschied zwischen den Versionen

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auf. Aus dieser Schicht steigen meist durch den Erwerb einer höheren Berufsbildung die Söhne, vereinzelt die Töchter durch Heirat in die Oberschicht auf, aber noch immer findet sich der Fall, daß derselbe Mann, der im Mittelstande seine wirtschaftliche Laufbahn begann, selbst durch erfolgreiche Tätigkeit in vorgerücktem Alter mitten in der Oberschicht steht, ohne daß er sagen könnte, wann er eingerückt sei; seine Kinder werden dann schon als in ihr geboren betrachtet.
 
====Die Handarbeiterschaft.====
 
Dieses Aufsteigen läßt sich trotz häufigen Vorkommens in der Öffentlichkeit nicht so leicht beobachten, weil die Veränderung des Aufenthaltsorts der Beteiligten dabei störend einwirkt Dieser Umstand scheint beim Gegenteil weniger ins Gewicht zu fallen, d. h. beim Herabsinken sowohl einzelner Personen selbst als auch mancher Kinder in die gesellschaftliche Unterschicht, die der Handarbeiter, deren Klassenbewußtsein die Sozialdemokratie künstlich stärkt, indem sie ihnen die Lehre von der gemeinsamen proletarischen Lebenshaltung suggeriert. Gewiß ist das gewaltige Anwachsen dieser Schicht auf die allgemeine Einbürgerung der Unternehmung als Wirtschaftsform mit Arbeitszerlegung und Arbeitsverschiebung zurückzuführen, aber über die Herkunft dieser Menschen ist damit gar nichts ausgesagt. Für die Bildung der „Klasse" kommen diejenigen, die schon als Kinder industrieller Handarbeiter geboren wurden, nicht in Betracht, sondern nur diejenigen, die erst aus anderen Berufen übergetreten sind oder als Kinder in anderen Berufen tätiger Eltern früh in der Industrie ihr Brot suchten. Die letzteren Fälle waren natürlich früher, etwa bis 1860, häufiger als jetzt, und deswegen muß eine Untersuchung über die Entstehung der Handarbeiterklasse die Ahnen der  jetzigen Generation  bis  zu  den  Urgroßeltern,  und zwar auch in den weiblichen Linien verfolgen.<ref>Aus ähnlichen Erwägungen heraus ist die Arbeit von Richard Ehrenberg und Hugo Racine: ''Kruppsche Arbeiterfamilien, Entwicklung and Entwicklungsfaktoren von drei Generationen deutscher Arbeiter'' [= Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 6. Ergänzungsheft]. Jena, G. Fischer, 1912, 398 S., entstanden, aber gerade bei dem hier aufgewandten Fleiße ist es zu bedauern, daß den Bearbeitern die unentbehrlichen genealogischen Gesichtspunkte für die Bearbeitung des Urmaterials gefehlt haben. Meine entsprechenden Ausführungen, die 1910 veröffentlicht wurden, sind ihnen offenbar entgangen.</ref> Man wird dann vier bis fünf verschiedene Berufsgruppen finden, aus denen sich die Industriearbeiterschaft einst zusammensetzte. Es waren das a) städtische gelernte Arbeiter (Handwerker und Handwerksgesellen), b) städtische ungelernte Arbeiter (Tagelöhner, Fuhrknechte), c) ländliche selbständige Wirte (Kleinbauern, Gärtner), d) ländliche Lohnarbeiter. Zu diesen aber gesellen sich als fünfte Gruppe noch alle diejenigen, deren Vorfahren in höheren Kreisen zu suchen sind und die in die unterste Schicht herabsanken. Das Bewußtsein für dieses Zusammenwachsen des sogenannten „vierten Standes" aus so verschiedenen Kreisen fehlt nicht nur unseren Sozialwissenschaftlern und Sozialpolitikern, sondern vor allem auch der Handarbeiterschaft selbst; ja schon das Wissen davon, wie  und  wo die Groß- und Urgroßeltern lebten,  ist dem einzelnen Handarbeiter
 
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Version vom 4. August 2007, 15:55 Uhr

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Handbuch der praktischen Genealogie
Inhalt
Band 2
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auf. Aus dieser Schicht steigen meist durch den Erwerb einer höheren Berufsbildung die Söhne, vereinzelt die Töchter durch Heirat in die Oberschicht auf, aber noch immer findet sich der Fall, daß derselbe Mann, der im Mittelstande seine wirtschaftliche Laufbahn begann, selbst durch erfolgreiche Tätigkeit in vorgerücktem Alter mitten in der Oberschicht steht, ohne daß er sagen könnte, wann er eingerückt sei; seine Kinder werden dann schon als in ihr geboren betrachtet.

Die Handarbeiterschaft.

Dieses Aufsteigen läßt sich trotz häufigen Vorkommens in der Öffentlichkeit nicht so leicht beobachten, weil die Veränderung des Aufenthaltsorts der Beteiligten dabei störend einwirkt Dieser Umstand scheint beim Gegenteil weniger ins Gewicht zu fallen, d. h. beim Herabsinken sowohl einzelner Personen selbst als auch mancher Kinder in die gesellschaftliche Unterschicht, die der Handarbeiter, deren Klassenbewußtsein die Sozialdemokratie künstlich stärkt, indem sie ihnen die Lehre von der gemeinsamen proletarischen Lebenshaltung suggeriert. Gewiß ist das gewaltige Anwachsen dieser Schicht auf die allgemeine Einbürgerung der Unternehmung als Wirtschaftsform mit Arbeitszerlegung und Arbeitsverschiebung zurückzuführen, aber über die Herkunft dieser Menschen ist damit gar nichts ausgesagt. Für die Bildung der „Klasse" kommen diejenigen, die schon als Kinder industrieller Handarbeiter geboren wurden, nicht in Betracht, sondern nur diejenigen, die erst aus anderen Berufen übergetreten sind oder als Kinder in anderen Berufen tätiger Eltern früh in der Industrie ihr Brot suchten. Die letzteren Fälle waren natürlich früher, etwa bis 1860, häufiger als jetzt, und deswegen muß eine Untersuchung über die Entstehung der Handarbeiterklasse die Ahnen der jetzigen Generation bis zu den Urgroßeltern, und zwar auch in den weiblichen Linien verfolgen.[1] Man wird dann vier bis fünf verschiedene Berufsgruppen finden, aus denen sich die Industriearbeiterschaft einst zusammensetzte. Es waren das a) städtische gelernte Arbeiter (Handwerker und Handwerksgesellen), b) städtische ungelernte Arbeiter (Tagelöhner, Fuhrknechte), c) ländliche selbständige Wirte (Kleinbauern, Gärtner), d) ländliche Lohnarbeiter. Zu diesen aber gesellen sich als fünfte Gruppe noch alle diejenigen, deren Vorfahren in höheren Kreisen zu suchen sind und die in die unterste Schicht herabsanken. Das Bewußtsein für dieses Zusammenwachsen des sogenannten „vierten Standes" aus so verschiedenen Kreisen fehlt nicht nur unseren Sozialwissenschaftlern und Sozialpolitikern, sondern vor allem auch der Handarbeiterschaft selbst; ja schon das Wissen davon, wie und wo die Groß- und Urgroßeltern lebten, ist dem einzelnen Handarbeiter


  1. Aus ähnlichen Erwägungen heraus ist die Arbeit von Richard Ehrenberg und Hugo Racine: Kruppsche Arbeiterfamilien, Entwicklung and Entwicklungsfaktoren von drei Generationen deutscher Arbeiter [= Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 6. Ergänzungsheft]. Jena, G. Fischer, 1912, 398 S., entstanden, aber gerade bei dem hier aufgewandten Fleiße ist es zu bedauern, daß den Bearbeitern die unentbehrlichen genealogischen Gesichtspunkte für die Bearbeitung des Urmaterials gefehlt haben. Meine entsprechenden Ausführungen, die 1910 veröffentlicht wurden, sind ihnen offenbar entgangen.