Gichtmedizinische Sonnenbank: Unterschied zwischen den Versionen

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Gicht– medizinische Sonnenbank
Gicht– medizinische Sonnenbank



Version vom 14. August 2009, 19:38 Uhr

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<<<Erzählungen aus Schmelz


Gicht– medizinische Sonnenbank

Von Gerhard Krosien

Da hockte er nun wieder in der Sonne, der alte Borbe, irgendwo im Schmelz von damals auf seiner Bank neben der Haustür, senkrecht, als ob er einen Stock verschluckt hätte. Die schwieligen Hände über den grauen, handgestrickten Pullover vor dem Bauch gefaltet, das Gesicht braun gegerbt, voller Kerben und Runzeln längs und quer, von grauen Stoppeln übersät, die Augen fast geschlossen, das schüttere, grau-weiße Haupthaar locker, vom Windhauch sanft bewegt, zwischen den schmalen Lippen ein kleines weißes Tonpfeifchen, aus dem spärlicher Rauch nach oben kräuselt. Die Beine stecken in einer abgewetzten grau-schwarzen Tuchhose, am oberen Ende von einem breiten Lederriemen gehalten, nach unten in derben Lederstiefeln.

Es sieht so aus, als ob der Alte sein geducktes Häuschen mit den kleinen weißgerahmten Fenstern und der niederen braunen Tür mit seinem Rücken an der Ziegelwand stützt. Schon seit Tagen, immer nach der Mittagszeit.

Neugierige Jungenaugen haben das vom Rande der gegenüberliegenden, mit Gras und Gesträuch überwachsenen Kiesgrube aus beobachtet, in einer Ruhepause nach dem Herumstromern in dem Geäst und in den Tümpeln des kleinen Kraters.

Fuß vor Fuß hat der Junge den ausgefahrenen Sandweg vor dem Haus überquert. Vor dem Greis verharrt er. „N`Tag Opa Borbe, wieso sitzt du denn jeden Tag hier auf der Bank? Was machst du hier? Sonnst du dich?"

Die Augen des Alten blinzeln durch einen engen Schlitz. „N'Tag, n'Tagchen, ach du bist es, mein Jungchen", kommt es zwischen den Lippenstreifen am Pfeifenmundstück vorbei heraus. „Nein, nein, Gott bewahre, ich sonn` mich nicht! Ich,... ich genieß` bloß meine alte Gichtmauer!" „Deine alte Gichtmauer, Opa Borbe? Was meinst du damit?" Der Junge ist ganz Erstaunen, Unverständnis, Zweifel.

Der Alte hat seine Augen nun ganz geöffnet und die Pfeife aus dem Mund genommen. Sein Gesicht ist ganz Verwunderung. „Ja, weißt du das denn nicht? Das Stück hier hinter dieser Bank ist doch für meine Familie schon immer die Gichtmauer, schon bei meinem Vater, bei seinem Vater - und schon lange, lange davor! Schau doch, wie blankgewetzt die Wand hier ist!"

Die Augen des Jungen gleiten über die Ziegeln, seine kleine Hand streicht über die Wand. Seine Augen erfassen auch die rohe, knorrige Eichenbank: „Sie ist von Wind und Wetter ganz grau gegerbt, an vielen Stellen blankgewetzt. Auf ihr haben schon viele Menschen oft gesessen, sie muss uralt sein ", denkt der Steppke.

„Opa Borbe, aber wozu braucht man denn eine Gichtmauer?"

Ein entschuldigendes Schmunzeln huscht über die Stoppeln. „Aber, Jungchen, weißt du das auch nicht? Komm schon her, und setz dich mit auf die Bank. Aber mit dem Rücken ganz fest an die Ziegelwand! Dann werd` ich dir das mal erklären. Schwups, schon hockt ein zweites, viel kleineres Menschlein auf der Bank. Seine nackten Beine bleiben im rechten Winkel zum Oberkörper gestreckt. Das Sitzbrett ist viel zu breit für ihn, um die Knie abwinkeln zu können.

„Ja, die Gicht... Sie ist schon so eine rechte Plage in unserer Familie. Seit jeher. Sie sitzt in den Knochen und zwickt und sticht im Rücken, in der Hüfte, in den Schultern, in den Armen und Fingern - bis in die Spitzen! Sie macht einen fix und fertig! Dagegen hilft keine Medizin, bloß Wärme, am besten Sonnenwärme. Darum haben meine Vorfahren dieses Haus auch so hingebaut, dass die Sonne die Gichtmauer hier von ganz früh bis zum späten Nachmittag mit ihrer Wärme aufheizen kann! Und das hat sie mit meiner Gichtmauer auch heute wieder getan. Spürst du das nicht auch am Rücken?" „Ja, der alte Borbe hat recht, die Hauswand ist richtig mollig warm. Das tut wirklich gut", denkt der Knirps. Sein Blondschopf nickt.

„Aber was passiert denn eigentlich mit deiner Gicht, wenn du dich mit deinem Rücken an die Gichtmauer drückst, Opa Borbe?"

Die schmalen Lippen des Alten ziehen einige Male an der Pfeife und geben den Rauch dünn frei. Sein Gesicht schaut den Jungen fragend an. „Ja, kannst du dir das denn nicht denken? Die Sonnenwärme kann die Gicht nicht verknusen. Je mehr davon aus der Gichtmauer in meinen Rücken zieht, umso schneller haut das Zipperlein aus meinen Knochen ab und verkriecht sich anderswo im Körper. Wo es keine Knochen gibt, an denen es nagen und dabei Schmerzen machen kann! Verstehst du? Und dann fühle ich mich wohl, dann schmeckt mir auch mein Pfeifchen, ... so wie jetzt. Das Dumme ist bloß: Wenn der Rücken kalt wird, dann kommt die Gicht an ihre alten Stellen zurück - und quält mich wieder. Besonders während der Nacht, wenn keine Sonne scheint, und im Winter. Darum kann ich den Sommer auch so gut leiden und nutze jeden warmen Tag aus."

Ein Weilchen nachdenkliches Schweigen. Im Blondschopf arbeitet es. „Aber, haben nur alte Leute wie du die Gicht - oder haben sie auch junge Menschen, Opa Borbe?"

„Ja, die Gicht haben wohl nur Alte. Als ich jung war, da kannte ich sie auch nicht. Aber es gibt auch viele alte Menschen, die haben keine Gicht. In meiner Familie liegt sie jedenfalls drin - seit vielen Generationen!"

Der Knirps strahlt übers ganze Gesicht. „Wie gut, Opa Borbe, dass du deine Gichtmauer hast!" Dann aber bekümmert: „Wir haben keine Gichtmauer. Was mache ich denn bloß, wenn ich mal alt bin und die Gicht kriege?"

Der Alte packt die schmalen Schultern des Jungen mit beiden Händen. „Na, hör mal, mein Jungchen, wo wir uns doch so gut kennen. Und du die paar Schritte von mir weg wohnst. Dann kannst du meine Gichtmauer mitbenutzen! Die Bank ist doch breit genug für uns beide. Oder etwa nicht?" Vier Augen sind nach kurzem, abmessendem Blick einer Meinung! „Bringst mir ab und zu ein bisschen Tabak her, und schon sind wir quitt!", so der Alte. Eine kleine, weiche Hand in seiner großen, schwieligen besiegeln die Abmachung. Und in einem kleinen Jungenherzen ist Zufriedenheit: Für den Ernstfall ist wirlich gut vorgesorgt - die Gichtmauer als wirksames Gegenmittel gegen die Gicht!

Seitdem sind viele, viele Jahre vergangen. Den Jungen verschlug es in die weite Welt. Den alten Borbe gibt es bestimmt nicht mehr. Ob es seine Gichtmauer noch gibt? Sicher ist nur eines: Die Abmachung, die Drohung mit der Gichtmauer, hat jedenfalls gewirkt! Bis jetzt hat sich die Gicht nicht in den Körper des Jungen von damals gewagt!