Jena/Entwicklung 1889-1912: Unterschied zwischen den Versionen

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Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die  „ Rosenbrauerei “ ;der „ Maulesel “  wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem  „ Klaatsch „ und dem „ Dorfteufel „ vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert ;  
Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die  „ Rosenbrauerei “ ;der „ Maulesel “  wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem  „ Klaatsch „ und dem „ Dorfteufel „ vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert ;  
seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der „ Rosengesellschaft „ ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere
seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der „ Rosengesellschaft „ ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere
Zeit im Prinzessinnengarten-Schlößchen weilte und hier wie auch in Weimar sich gern von Jeneser Professoren umgeben sah.
In enger Beziehung zur Universität und doch unabhängig von ihr hatte sich die Optische Werkstätte von Carl Zeiß entfaltet. Der Wendepunkt in ihrer Entwicklung war das Jahr 1866, als Ernst Abbe eintrat. Zwanzig Jahre lang hatte Carl Zeiß Mikroskope hergestellt, so gut und so schlecht, wie sie eben damals angefertigt wurden; aber er nahm die Mängel nicht als etwas Unvermeidliches hin, sondern trachtete danach, sie nicht durch Probieren, Barrieren, Modifizieren zu verbessern, sondern ihre Herstellung auf wissenschaftliche Berechnung zu gründen. In diesem Gedanken fanden sich Zeiß und Abbe zusammen. Anfängliche Mißerfolge schienen der Behauptung der Konkurrenz recht zu geben, daß Mikroskope auf Grund der Theorie nicht gebaut werden könnten, ja sie betonten schadenfroh bei der Empfehlung ihrer Erzeugnisse, daß sie sie nicht nach Jenaer Art hergestellt hatten. Bald aber hatten Abbe und Zeiß des Rätsels Lösung gefunden, und 1886 wurde bei zirka 300 Arbeitern das zehntausendste Mikroskope fabriziert!
Bedingt wurde dieser einzigartige Aufschwung auch mit dadurch, daß 1882 Otto Schott aus Witten nach Jena übersiedelte und unter Mitwirkung von Carl Zeiß und seinem Sohne Roderich Zeiß und Dank einer bedeutenden Beihilfe der preußischen Regierung 1884 das „Glastechnische Laboratorium“ eröffnen konnte.
Durch das Zusammenarbeiten der drei Männer Zeiß, Abbe und Schott beginnt die Reifezeit, das Emporwachsen zum Großbetrieb, der sich nicht an der Mikroskopherstellung genügen läßt, sondern die gesamte praktische Optik umspannt.
1875 wurde Ernst Abbe, 1881 Roderich Zeiß Teilhaber ; als aber am 3. Dezember 1888 Carl Zeiß starb und 1889 Roderich Zeiß zurücktrat, gründete Ernst Abbe im Mai 1889 die „Carl-Zeiß-Stiftung zu Jena“ und machte damit dieses Jahr zu einem zweiten bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Firma.
Damit freilich gewann Jena, das bisher ein beschauliches Gelehrtennest gewesen war, eine andere Physiognomie : bei einer Gesamtbevölkerung von 14 000 Menschen wollen freilich  500 Arbeiter noch nicht soviel besagen wie 500 Studenten; Jena verdiente an jenen auch höchstens eine halbe Million Mark im Jahre 1889.
Aber es bahnte sich doch hier eine neue Macht die Wege, die damals freilich durch das Sozialistengesetz von 1878 im Schach gehalten wurde, sich aber doch schon 1872 dazu verstanden hatte, in Wilhelm Liebknecht einen eigenen Kandidaten für Jena aufzustellen, und die es gern und wiederholt betonte, daß Karl Marx 1811 in Jena zum Doktor promoviert worden war. Und dazu kam, daß Jena außer dem optischen und glastechnischen Laboratorium über wenige andere Fabriken nur verfügte.
Denn industriell war Jena nur wenig entwickelt: am bedeutendsten war die Weidigsche Klavierfabrik, die 1843 in Heichelheim gegründet worden war, bald aber nach Jena verlegt wurde, wo sie zuerst in der Lödder- und 1857 in der Quergasse ein Unterkommen gefunden hatte, bis sie 1883 nach der Nollendorfer Vorstadt übersiedelte.
Daneben durfte die 1810 gegründete Seifenfabrik von Triebitz Anspruch auf Beachtung erheben.
1826 hatte der Maurermeister Timter die Ratsziegelei erworben, die 1859 in den Besitz von Bernhard Böhme überging ; daneben schwang sich 1859 – 1873 die Timtersche Ofenfabrik zu großem Ansehen auf.
1868 folgten die Hartungschen und Grunerschen Sägewerke.
1870 gründete Krüger die Magdelstiegelziegelei
1871 Hugo Boehme eine Zementfabrik, die freilich 1883 in eine Blechemballagenfabrik umgewandelt wurde.
Damit haben wir aber auch alles, was an Fabriken im damaligen Jena bestand, denn die Zinngießerei von Franz Hering und die Kupferschmiede von Pflug genossen zwar weiterhin einen berechtigt guten Ruf, aber weder bei ihren Arbeitern noch denen der anderen Betriebe konnten die Zeiß-Arbeiter wesentlichen Rückhalt finden.
Freilich dürfen wir in diesem Zusammenhänge nicht übersetzen, daß sich auch in Jenas unmittelbarer Umgebung industrielle Unternehmungen entwickelt hatten.
So bestanden in Wenigenjena die Kammgarnfabrik von Eduard Weimar ( 1820-1890), wo auch
1864 die erste Dampfmaschine aufgestellt wurde, die Lüdkesche Fabrik für Studentenrequisiten und die
Glasersche Klavierfabrik,
in Burgau war 1881 die Frommoltsche Holzstoffabrik und in
Göschwitz 1886 die Portland Zementfabrik errichtet worden, aber alle diese Unternehmungen hielten  sich zunächst doch in ganz bescheidenen Grenzen.
Weit bekannter waren dagegen Jenas Verlage, von denen der Neuenhahnsche der älteste war,
daneben sich seit 1850 der Costenblesche,
seit 1853 der Verlag  und das Antiquariat von Friedrich Strobel und namentlich
seit 1878 als Maukes Nachfolger der Verlag von Gustav Fischer neben
Frommanns und Junkelmanns Verlag Jena
zu einem buchhändlerisch beachtenswerten Städtchens gemacht hatten.
Gewiß hatte sich auch Jena seit dem Anschluß an das Eisenbahnnetz entwickelt; aber wenn es 1884 noch die drittgrößte Stadt nach Weimar und Eisenach  im Großherzogtum gewesen war, so hatte Apolda es schon im Jahre 1880 überflügelt; jenes hatte sich in diesem Zeitraume nur verdoppelt, dieses aber verfünffacht!
Was aber immer zu Jenas Gunsten gesprochen hatte, was seinerzeits sogar ausschlaggebend gewesen war, daß die Universität hierher verlegt wurde, waren Jenas weithin bekannte günstige Gesundheitsverhältnisse : Jenas Sterblichkeit hielt sich in den Jahren 1887 – 1889 auf 15.91; 16.70; und 16.11 pro Tausend, und alle anderen thüringischen Städte wiesen eine z.T. sogar sehr wesentlich höhere Sterblichkeitsziffer auf.
Verhältnismäßig gering war die Zahl der Bürger: noch 1882 waren 10.7 % der Bewohner Bürger, 1889 besaßen nur noch 8.3 % das Bürgerrecht. Mitbestimmend mag hierbei gewesen sein, daß seit dem Sportelgesetz vom 5. Januar 1887 die Erwerbung des Bürgerrechts an die Gebühr von 15 M. gebunden war, und gar mancher wird diese Abgabe gescheut haben. Mit dem Wachsen der Bevölkerung hatte nun aber die Zunahme an Häusern, namentlich an Kleinwohnungen , in keiner Weise Schritt gehalten, und schon 1886 hatte deshalb der Gemeindevorstand die Bildung einer Baugesellschaft ins Werk gesetzt. Drei Jahre dauerte es, bis die Satzungen ausgearbeitet waren und ein Aufruf zur Anteilszeichnung beabsichtigt werden konnte; vor allem bildeten die ungewöhnlich hohen Baupreise ein solches Hindernis, daß man sich zunächst überhaupt keinerlei Rentabilität zu versprechen vermochte. Wie dringend nötig Abhilfe war, ersieht man daraus, daß bei 516 Wohnungen, die weniger als 100 M. kosteten, in 342 die Küche fehlte und 44 als ungesund bezeichnet werden mußten! Daß man im Jahre 1887  11 und 1888  15 Neubauten errichtet hatte, linderte zwar das Übel etwas, vermochte es aber nicht annähernd zu beheben.
Recht gut entwickelt hatten sich in Jena die Schulen. Als älteste reichte die Bürgerschule in ihren Anfängen bis in die Reformationszeit, ja sogar noch weiter zurück. Die Schülerzahl war natürlich gewachsen; man stand daher schon 1887 vor der schwerwiegenden Frage, ein neues Schulhaus bauen zu müssen, und zwar legte man dem Ministerium den Plan für ein Schulhaus vor, in dem man 26 Klassen hätte unterbringen können. Infolge allerlei Bedenken entschloß man sich aber 1889, das Haus kleiner zu bauen, so daß nur 18 Klassen Platz gefunden hätten, während man die alte Bürgerschule hinter der Kirche mit 8 Klassen beizubehalten sich entschloß. Für die höhere Ausbildung der Knaben sorgte das Pfeiffersche Institut, das 1832  von dem Schweizer Dr.Herzog hier errichtet worden und seit 1882 unter dem Direktor Dr.Pfeiffer mächtig emporgeblüht war. Daneben bestand die Stoysche Erziehungsanstalt seit 1880 und seit 1876 das Gymnasium, das bis 1889  151 Abiturienten entlassen hatte.
Für die höhere Ausbildung der Mädchen bestanden die Schmidtsche und Schülersche Schulen, die in Fräulein Strohschein und Ludewig Leiterinnen gefunden hatten, die in ihrer Vorbildung den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Die Stadt erwog ernstlich den Plan, durch Übernahme der einen oder beider Privatschulen eine städtische höhere Mädchenschule zu gründen, schon im Jahre 1888, kam aber zu keinem Entschluß. Im Jahre 1858 war eine städtische gewerbliche Fortbildungsschule ins Leben gerufen worden, die sich unter der Leitung von Flex und seit 1863 von Papst erfreulich entwickelt hatte.
Für die Belehrung und Unterhaltung der Bevölkerung hatte Karl Köbler auf seinem Engelgrundstück 1873 sein Sommertheater gebaut, in welchem „Martin Luther“ seine Uraufführung erlebte und alljährlich die akademischen Konzerte ein musikliebendes und verständiges Publikum den bedeutendsten Künstlern lauschen ließen.
Nehmen wir dazu, daß Jena seit 1879 ein Oberlandesgericht beherbergte, daß es Sitz des Amtsgerichtes, Standort des Militärs war, so wird man verstehen, daß alljährlich ein beträchtlicher Fremdenzustrom die Stadt passierte. Im Jahre 1888 belief sich deren Zahl auf  22 143 Menschen, und daran hatten die Bahnen sicherlich das Hauptverdienst.
An die Bahn von Nord – Süd waren waren ja auch schon die Unstrut- und die Halle – Bebra-Bahn, aber auch Schwarza – Blankenburg,  Pößneck – Judewein,
Pößneck – Oppurg  und  Probstzella – Eichicht und an die Ost – West-Bahn  Gera – Glauchau, Gera – Eichicht  und Weimar – Berka angeschlossen.
Zwar besorgten seit 1866 die Trautmüllern und die alten Gießler noch immer regelmäßig ihre Botengänge, aber ihre Verdienstmöglichkeiten verminderten sich von Monat zu Monat. Beide Bahnen waren Privatunternehmen, das einzige Moment, das sich schädigend, namentlich auf die Höhe der Frachtsätze, auswirkte.
Mit Apolda vermittelte die Botenfrau Charlotte Thiele seit 1857 einen regelmäigen Verkehr. Das Projekt, eine Bahn zwischen Apolda und Jena herzustellen, „ hat ein lebhaftes Interesse in unserer Stadt kaum zu erwecken vermocht“.
Störend empfand man in Jena immerhin, daß es keinen Fernsprechverkehr gab. Vereinzelte  Betriebe, Zeiß, Pohle, Fischer , Böhme und die Stadtverwaltung hatten sich interne Anlagen geschaffen; als aber z.B. die Stadtverwaltung ihre Anlage auch dem Publikum zur Verfügung stellte, legte die Erfurter Oberpostdirektion auf Grund des Art.48 der Reichsverfassung Einspruch ein, der dann freilich im Vergleichswege zurückgezogen wurde.
Um den Fremden Jena aber noch lockender zu gestalten, hatte der Baurat Karl Botz nicht geruht, ehe er nicht eine große Zahl von Verschönerungen der Umgegend unserer Stadt durchgeführt hatte: die Bewaldung des Tatzend war seine erste Tat, es erfolgte der Bau von Zugangswegen zum Forst und zum Tatzend, die Anlage des Weges durch den Münchenrodaer Grund zum Forste; die Bewaldung an der Nordseite der Kernberge, der Bau der Horizontale bis zur Diebeskrippe, die Wege am Jenzig, an den Sonnenbergen, zur Kunitzburg, und endlich die Bepflanzung und Wegeanlage im Mühltale. Mit einer Großzügigkeit und verständnisvollem Geschmack hat sich Botz, der seit 1846 als Chausseebauinspektor in Jena wohnte, dieser seiner Lieblingtätigkeit gewidmet, daß sein Tod 1890 allgemein auf das allerlebhafteste bedauert wurde.
An der Spitze dieser aufblühenden und mannigfach interessanten Stadt stand nach Eucken-Addenhausens Abgang der Bürgermeister Dr. Thieler, dessen Geschäfte im Behinderungsfalle der stellv. Bürgermeister Eduard Polz führte.
Ein herzliches Einvernehmen herrschte mit dem Gemeinderate, dessen Vorsitzender,Oberlandesgerichtsrat Dr. Krieger, die Sitzungen mit Geschick und Würde zu leiten verstand. Der Gemeinderat hatte sich 1854 eine Geschäftsordnung gegeben, die 1862 erweitert worden war. Bei dem ruhigen Verlaufe der Sitzungen und dem ungestörten Geschäftsgange hatten sie sich als völlig ausreichend die Jahrzehnte hindurch erwiesen. Gewissenhafte und arbeitsfreudige Beamte standen dem Bürgermeister hilfreich zur Seite, namentlich der Stadtschreiber Robert Bergmann, der seit 1877 in städtischen Diensten stand und 1882 anstatt des Stadtschreibers Buschmann amtierte, welcher von 1851 an diesen Posten verwaltet hatte und 1910 starb.
1888 hatte man in Cosack einen recht fähigen Stadtbaudirektor angestellt, doch machte sich seitens der Jenaer Architekten schon bald eine gewisse Gegnerschaft bemerkbar, weil dem Stadtbaudirektor die Entwürfe und Ausführung von Bauten überlassen wurden, an denen bisher jene mitgearbeitet hatten.
Nach der Gemeindeordnung von 1869, die sich in vielen Punkten als recht unpraktisch erwiesen hatte, und an deren Revision Regierung und Landtag arbeiteten, waren die Städte die Inhaber der Polizeigewalt. Demgemäß hatte man 1887 das Meldewesen in Jena umgestaltet, hatte im Anschluß an die beiden Hochwasser des Jahres 1888 mit Saalfeld und Saalburg einen Hochwassernachrichtendienst eingerichtet, hatte man den neuen Friedhof geschaffen, vor allem aber am 22.Juni 1881 den Stadtbauplan genehmigt und am 31.August 1887 die Kanalisation beschlossen. Beide Beschlüsse wirkten sich in der Folgezeit erst richtig aus und führten Streitigkeiten herbei, wie sie das vergangene Jahrzehnt nicht für möglich gehalten hätte. Der Stadtbauplan war von einem Ausschuß bearbeitet worden, der aus den Herrren Timler, Botz , Spittel, Uhlitzsch und Hartung bestand; er war 1873 von Regierungsbaumeister Wilckens durchgearbeitet und endlich am 12.September 1882 vom Staatsministerium genehmigt worden; dreizehn Jahre lang hatte man daran gearbeitet. Aber da hier ebenso wie bei der Kanalisation der Einzelne zugunsten der Allgemeinheit geschädigt wurde, verstehen sich von selbst die Abneigung und das Aufbegehren gegen den Stadtbauplan und Kanalisation von seiten weiter Kreise der Bürgerschaft. Am Zustandekommen des Kanalisationsstatuts war der spätere Bürgermeister Eduard Dornbluth nicht unwesendlich beteiligt gewesen.
Die größten Schwierigkeiten und das meiste Kopfzerbrechen verursachte auch damals schon den Stadtvätern der „Nervus rerum“,das Geld. Die Stadt sah sich gewaltigen Ausgaben gegenüber, die ihr durch Schulen, Kanalisation, Straßenpflasterung, Wohltätigkeit verursacht wurden, und durfte diese doch nur nach Maßgabe ihrer Einnahmen vornehmen. Gewiß hatten sich die Einnahmen aus der Einkommenssteuer von Jahr zu Jahr gehoben;
1879 betrugen sie 62 000 M. und zehn Jahre später 50 % mehr, und unter den regelmäßigen Einnahmen der Kämmerei standen die Abgaben an erster Stelle, die aus dem Verdienste der Brauerei stammten. Zwar hatten die Universitätsdozenten seit langem auf ihren eigenen Braubetrieb verzichtet: die „Rosenbrauerei“ bereitete der städtischen Brauerei immerhin eine beachtliche Konkurrenz. Nach Auflösung der alten „ Braukommune“ ( 1853 ) hat die Felsenkellerbrauerei nur unrentabel gewirtschaftet, so daß man 1867 ernsthaft an einen Verkauf des Unternehmens dachte. Seit man aber 1883 in Kieslinger einen sehr fähigen Fachmann als Direktor angestellt hatte, hob sich der Ertrag und Verkauf von Jahr zu Jahr, und während man noch 1882 an die Kämmereikasse nur 3 000 M. abgeliefert hatte, konnte man ihr schon 1889  10 000 M. überweisen und im Jahr darauf sogar 17 000 M. Der Bierabsatz hatte sich von 1885 – 1888 von  7180 hl auf 16 5000 hl gehoben. Freilich war es für das Unternehmen nachteilig, daß es soviel von dem Reingewinn an die Stadtkämmerei abliefern mußte; während andere Brauereien den größten Teil ihres Reingewinnes zur Verbesserung ihrer Anlagen verwenden konnten, arbeitete die Brauerei in Jena dazu, das Soll und Haben des Stadthaushalts auszugleichen.
Andere gewerbliche Unternehmungen der Stadt bildeten die Gasanstalt und das Wasserwerk. Das erste Gaswerk war 1862 gebaut worden; während aber die Bevölkerung jährlich nur um 3.4 % durchschnittlich gewachsen war, wies der Gasverbrauch eine jährliche Durchschnittssteigerung von 8.5 % auf. Im Jahre 1880 kamen nur 25.3 cbm Gas auf jeden Jenenser, 1890 aber 38.5 cbm, so daß also auch dieses Werk sich sehr bald als unzureichend erwies. Und das gleiche galt für die Wasserversorgung. Schon 1740 hatte man die Leutraquelle gefaßt; 1878 war die Hochdruckwasserleitung von Ammerbach angelegt worden. Zehn Jahre später aber erwarb die Stadt für 13 200 M. die im Mühltal gelegenen,
51 321 qm großen Hoffmannschen Grundstücke, um sie zur Wassererschließung auszuwerten.
Auch für die öffentliche Fürsorge und Wohltätigkeit hatte die Stadt mancherlei getan. Für die Armen- und Krankenpflege hatte man drei Gemeindeschwestern angestellt, für weibliche Arme wurde ein Arbeitsnachweis auf dem Rathause errichtet, das städtische Arbeits- und Verpflegungshaus, wo Obdach- oder Erwerbslose und auch Arbeitsscheue ein Unterkommen fanden, war 1882 umgestaltet worden, das St.Nikolaus-, St.Jakob- und St. Magdalenenspital boten altersschwachen Leuten aus Jena und stiftungsgemäß auch aus Oßmaritz und Jenalöbnitz Aufnahme. Auch das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz hatte der Stadtgemeinde beträchtliche Unkosten verursacht, so daß sie von 1885 –1888 insgesamt  22 000 M. für die offene Armenpflege hatte zuschießen müssen. Und dabei überließ die Stadt sogar noch viel, sehr viel sogar der Privatwohltätigkeit, die damals so recht mit Liebe, Verständnis und Erfolg von dem Diakonus Dr. August Kind zentralisiert worden war. An erster Stelle kam hierfür der Zentralfrauenverein in Jena in Frage, der die Versendung von erholungsbedürftigen Kindern nach Bad Sulza, den Unterhalt der Kleinkinderbewahranstalt, der Industrieschule, der Spinnerei und Leinenanstalt besorgte. Daneben betätigte sich seit 1817 der Verein  für sittlich-hilfsbedürftige Kinder, seit 1878 der Verein gegen Hausbettelei, seit 1881 die Herberge zur Heimat und endlich, für Jena ganz besonders wichtig, seit 1833 die Stiftungssparkasse, die seit 1869 jährlich ein Drittel ihrer Reingewinnes für öffentliche Zwecke für öffentliche Zwecke auswerfen mußte, und im ersten Jahrzehnt 1869-1879 zirka 34 000 M., im zweiten Jahrzehnt 1879-1889
281 122 M., außerdem aber noch 190 564 M. für das Gymnasium ausgeschüttet hatte.
Müßte es nicht überaus verlockend und reizvoll sein, in einer solchen Stadt, die derart mannigfache und mannigfaltige Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungssicherheiten bot. Stadtoberhaupt zu sein?
Dr.Thieler verließ Jena am 31.August des Jahres 1889, ohne daß ein Nachfolger gewählt gewesen wäre. Man hatte allerdings am 15.Juli 1889 eine Bürgermeisterwahl vollzogen, und  657 Stimmen waren von 1162 Bürgern
( 71 % Beteiligung) auf den Stadtrat Schneider aus Grimmitschau abgegeben worden. Dieser aber war tags zuvor zum Bürgermeister von Pirna gewählt worden, so daß die Jenenser den Posten erneut ausschreiben mußten. Zu Bewerber meldeten sich, in engere Wahl kamen Regierungs...,Schmidt
( Eisenach ), Stadtrat Karras ( Kottbus ) und Gemeindevorstand Heinrich Singer
( Gohlis ),von denen letzterer am 19.September 1889 von einer Bürgerversammlung, die  von Engel abgehalten worden war, als einziger Kandidat bezeichnet wurde. An der Wahl am 30. September beteiligten sich
74 % der Stimmberechtigten, und Singer wurde gegen Schmidt mit 765 gegen 75 Stimmen gewählt. Am 3. Dezember 1889 fand seine feierliche Einführung durch den Bezirksdirektor Carl Born aus Apolda im Rathaus statt.
Für Singer hatte vor allem gesprochen, daß er in Gohlis ein Gemeinwesen hatte leiten müssen, das sich in den letztvergangenen Jahren unerwartet schnell entwickelt hatte, so daß man dem neuen Bürgermeister schon ein gewisses Maß an Erfahrung und Vorbereitung für die Aufgaben zutrauen mochte, die ihm hier entgegentraten.
Während des Interregnums hatte der Gemeinderat wegen der Paradiesschule einen neuen Beschluß gefaßt: statt der beabsichtigten 18 klassigen Schule, die auf  192 000 M.veranschlagt war, sollte Cosack den Entwurf für eine 24 klassige
Schule vorlegen, die man auf 240 000 M. berechnete. Die erste Aufgabe, der Singer mithin gegenübergestellt wurde, war der Haushaltsplan für das Jahr 1890.
Selbstverständlich hatten die drei Wochen, die Singer im Amte weilte, nicht genügt, um irgendwie formend oder gestaltend hierauf einzuwirken : der neue Plan unterschied sich daher fast nur durch erhöhte Zahlen, nicht aber durch Anlage usw. von seinen Vorgängern.
Bis zum 30.September 1912 ist Heinrich Singer an der Spitze der Stadtverwaltung geblieben.
1893 erhielt er die Dienstbezeichnung Oberbürgermeister, am 16. Dezember 1893 und am 12.Januar 1901 wurde er wiedergewählt, sein Gehalt allmählich von sechs- auf zehntausend Mark erhöht, zu Weihnachten 1901 verlieh ihm der Großherzog das Ritterkreuz des Falkenordens und 1908 wurde er Ehrendoktor der  jenaischen Juristenfakultät. Als hervorragendem Redner übertrug man ihm bei den  Bismarck, Moltke, Sedankommersen die Festansprache, und im Juli 1891 fand er neben seinen aufreibenden und zeitraubenden Arbeiten noch Muße, den Schwarzenberg in Deorients „ Gustav Adolf“ zu spielen. Ein Bürgermeister ganz nach dem Herzen der Jenenser ; jovial im Amte wie abends im Freundeskreise, witzig, unterhaltend, schlagfertig, ein Freund der Natur und der Naturschönheiten der Stadt, die ihm dann bald lieb, bald zur wirklichen Heimat geworden ist. Ein Mann, der den großen Vorzug hatte, sich nicht für unfehlbar zu halten, der ehrlich Fehler eingestand, wo er sie begangen hatte, auch mit dem Strome schwamm, wenn er sich überzeugt hatte, daß er dagegen nicht ankam, und nie und niemandem nachtrug; versöhnlich, soweit es sich mit Amt und Würde vertrug.
Der Tradition der Stadt und der Stadtverwaltung entsprechend, hielt es Singer für die vornehmste Aufgabe, dem Institut seitens der Stadt jede Förderung zuzuwenden, dem die Stadt bis dahin recht eigendlich ihre Bedeutung verdankte: der Universität, wenn gleich hierbei sein Einfluß natürlich nur beschränkt sein konnte.  Aber wo die ............ der Hochschule auf die Hilfe der Stadt rechnen mußte, bei Neubauten, Vergrößerungen ihrer Institute, Aufrechterhaltung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Akademie und Bürgerschaft, hat Heinrich Singer stets und unentwegt gefördert und geholfen. Bedeutete doch die Akademie mit ihren stetig wachsenden Besuche-
Im Sommersemester 1904 der tausendste und im Sommersemester 1911 der zweitausendste Student- eine ganz gewaltige Finanzquelle für die Stadt : verdiente doch die Stadt an den 1200 Studenten im Jahre 1905 zirka zwei Millionen Mark, und an den vielen Neubauten, die in diesem Vierteljahrhundert durch die Hochschule in Jena errichtet worden sind, hatten auch die Jenaer Handwerker eine nicht unbeträchtliche Mehreinnahme zu buchen. Die Erweiterung der Universitätsanstalten begann schon 1890 mit dem chemischen Laboratorium, 1892 mußte die Bibliothek erweitert werden, 1898 wurde die Augenklinik und das pädagogische Seminar, 1902 das physikalische Institut, 1903 das Nahrungsmitteluntersuchungsamt, das pharmazeutische und das chemisch-technische, 1904 das hygienische und das mineralogische Institut eröffnet, 1905 die neue Nervenklinik, die Frauenklinik, 1907 das phyletische Museum und 1909 der Anatomieerweiterungsbau eingeweiht. Und dazu kam 1908 die Einweihung der neuen Universität, für die im Jahre 1900 die Carl-Zeiß-Stiftung eine halbe Million Mark gestiftet hatte, Dr.Winkler 100 000, die Stadtverwaltung 100 000 M und 1903 Dr.Gustav Fischer aus Anlaß seines Geschäftsjubiläums 100 000 M. bewilligten. Die „ Wucherei“ hatte sich ja schon längst als zu eng erwiesen; aus dem Wettbewerb, zu dem man am 15.Juli 1903 die Architekten Fischer ( Stuttgart ),Kaiser ( Berlin ),Großheim ( Berlin ),
Hocheder ( München ),Hartung ( Dresden )  und Pützer ( Darmstadt ) aufgefordert hatte, ging am 9. Januar 1904 Theodor Fischer als Sieger hervor; am 22.Juni 1907 konnte das Richtfest gefeiert werden und im August 1908 fand die feierliche Einweihung des stattlichen Gebäudes statt. Während dieser Zeit waren aber auch Verhandlungen zwischen der Stadt und der Akademie zum Abschluß gekommen. 1902 wurde das Steuerprivileg der Dozenten im Prinzip abgeschafft und das mit eine Frage gelöst, die einst viel Murren, viel Unzufriedenheit, viel Verstimmung verursacht hatte. Für die Universität selbst bedeutete es eine wichtige Neuerung, daß vom 1.April 1902 ab Frauen auch als Hörerinnen in der philosophischen Fakultät und fünf Jahre später als Studentinnen in allen Fakultäten zugelassen wurden. Schon am 30.Juli 1904 hatte die Enkelin des Telegraphen Morse „ magna cum laude“ in Philosophie ihr Doktorexamen bestanden. Hielt sich die Zahl der Studentinnen zunächst auch noch in bescheidenen Grenzen, so hatte Jena doch endlich als letzte aller deutschen Universitäten ihnen den Zutritt ermöglicht.
Das Verhältnis zwischen Student und Bürgerschaft blieb ungetrübt herzlich und freundschaftlich ; man sah ihnen manches nach, was man anderen Bewohnern nicht zugestanden hätte.
Die Stadtverwaltung konnte Jahr für Jahr einen höheren Posten aus Strafgeldern in ihr Budget einstellen, und daß sie nicht kleinlich war, dafür stammt aus dem Jahre 1911 der launige Briefwechsel mit einem Burschenschafter, der um Nachlaß einer Geldstrafe ersuchte, da ihm das 25. Strafmandat zugegangen sei!
Wichtigere Vorfälle karrikieren die Studenten in ihren witzigen Umzügen, von denen der „ Spittelkirchen „ Umzug ebenso die Billigung weiter Kreise der Bevölkerung  fand wie der Teutenenumzug von 1911 auf ihr Verständnis rechnen konnte, als man ihnen verbot, ihre Tische auf den Bürgersteig zu setzen.
Am 15.Februar 1911 fand die „ Himmelsziege“ ihr Ende, und Kämmer Karl, der Studentenwirt, der 70 000 M. Studentenaußenstände hinterließ, und Blumenröschen, die Ewig Jugendliche, haben ebenfalls in dieser Zeit ihr freudespendendes Dasein beendet. Und bei dem einzig

Version vom 11. September 2005, 16:36 Uhr

Jenas Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Singer (1889-1912)

Von Dr. Herbert Koch, Jena.

Bis in das neunte Jahrzehnt des letztvergangenen Jahrhunderts beruhte die Bedeutung der Stadt Jena fast ausschließlich auf ihre Universität, die freilich gerade damals eine nicht unbedenkliche Krise durch machte oder doch mit knapper Not überstanden hatte. Zunächst hatte die Schlacht bei Jena auch der Hochschule einen empfindlichen Schlag versetzt, schon aus dem Grunde, daß das ganze Land in seiner Finanzkraft schwer geschädigt war und der Universität nur im Verhältnis zu der Gesamtleistung Zuschüsse zukommen lassen konnte. Aber so ungünstig auch alles liegen mochte : die Regierung ließ die Akademie nicht fallen; im Gegenteil: die Dozentengehälter wurden erhöht, neue Seminare gegründet, die Bibliothek vergrößert. 1826 übernahmen auch Altenburg und Meiningen die Mitsorge für die Universität , aber die Studentenzahl ging von 609 im Jahre 1830 auf 385 im Jahre 1850 zurück. Zwei Gründe haben dies hauptsächlich bewirkt : erstens lagen die Nachbaruniversitäten an Eisenbahnlinien, und zweitens konnten dort die Studenten gleich ihrer Militärpflicht genügen, während erst 1867 das Bataillon nach Jena verlegt wurde. Ein bemerkenswerter Aufschwung trat erst ein, als 1874 die Saalbahn und 1876 die Weimar-Geraer Bahn eröffnet wurden. Im Jahre 1880 besuchen 523, 1889 593 Studenten die Jenaer Universität. Die Erhalterstaaten ließen in diesen Jahrzehnten nichts unversucht, durch Berufung hervorragender Gelehrter das Studium in Jena den Studenten so verlockend wie möglich zu gestalten, und eine große Reihe bedeutendster Köpfe bildeten damals den Lehrkörper. Unter den Theologen ragten Karl v. Hase , Wilibald Grimm, Adolf Hilgenfeld, Adelbert Lipsius hervor; Die medizinische Fakultät durfte stolz sein auf Franz v. Ried, der als einer der ersten die Resektionen in Deutschland ausgeführt hat, und neben dem die Anatomen Wilhem Müller und Karl v. Bardeleben, der Internist Moritz Seidel, der Gynokologe Bernhard Schulze, die Psychiater Theodor Zichen und Otto Binswanger als Lehrer und Gelehrte weithin den besten Ruf genossen; In der juristischen Fakultät finden wir Namen wie Wilhelm Leist, Karl Kniep, Julius Pierstorff, August Thon, Eduard Rosenthal, und weiterhin lehrten hier der Orientalist Gustav Stickel, die Physiker Schaeffer und Abbe,der Zoologe Haeckel, die Philologen Vermehren, Berthold Delbrück, Heinrich Gelzer, Georg Goetz und Friedrich Kluge. Freilich war es den Erhalterstaaten nicht möglich gewesen, den oder jenen an unserer Universität zu halten. Berlin hatte uns den Botaniker Pringsheim, den Theologen Otto Pfeiderer die Mediziner Oskar Hertwig und Paul Fürbringer den Historiker Dietrich Schäfer genommen, und ebenso waren die Historiker Jakob Cars, Bernhard v. Simson, die Germanisten Bechstein, Eduard Sievers und Erwin Rohde, die Mediziner Karl Gerhard, v.Leube, Hermann Nothnagel und die Zoologen Richard Hertwig und Anton Dohrn, vor allen aber der Philosoph Kuno Fischer von Jena weggegangen, und wenn man ihnen auch in Otto Liebmann, Ottokar Lorenz, Rudolf Hirzel, Otto Schrader, Wilhelm Meyer-Lübke, Wilhelm Biedermann, Ludwig Knorr, Rudolf Eucken und anderen namhafte Nachfolger gegeben hatte ,so empfand man ihr Scheiden doch als einen Verlust, der sich in einigen Fällen nur schwer verwinden ließ. Die Fürsorge der Regierungen, die seit 1881 in Eggeling einen verdienstvollen und umsichtigen Kurator bestellt hatten, gehörte aber fast ebenso sehr dem Ausbau der Universitätsinstitute: die Landesheilanstalt wurden den Medizinern mit ihrem reichen Material zur Verfügung gestellt, und der Bahnanschluß bedingte bald eine bedeutende Steigerung des Krankenmateriales; bedauerlich war es , daß sich die altenburgische Regierung nicht dazu entschließen konnte, ihre Landesheilanstalten ebenfalls hierher zu verlegen: partikularistische Tendenzen führten zur Gründung des Genesungsbaues in Roda; für Jena erwies sich dies zum Nachteil. Aber es blieb Jena noch immer reichlich genug : in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entstanden die Krankenhäuser, zuerst das der Irrenanstalt, zuletzt das der geburtshilflichen Klinik; 1826 wurde das landwirtschaftliche Institut eröffnet, 1849 das staatswissenschaftliche Seminar, und jedes weitere Jahrzehnt ließ weitere Institute und Seminare erstehen. Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die „ Rosenbrauerei “ ;der „ Maulesel “ wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem „ Klaatsch „ und dem „ Dorfteufel „ vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert ; seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der „ Rosengesellschaft „ ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere Zeit im Prinzessinnengarten-Schlößchen weilte und hier wie auch in Weimar sich gern von Jeneser Professoren umgeben sah. In enger Beziehung zur Universität und doch unabhängig von ihr hatte sich die Optische Werkstätte von Carl Zeiß entfaltet. Der Wendepunkt in ihrer Entwicklung war das Jahr 1866, als Ernst Abbe eintrat. Zwanzig Jahre lang hatte Carl Zeiß Mikroskope hergestellt, so gut und so schlecht, wie sie eben damals angefertigt wurden; aber er nahm die Mängel nicht als etwas Unvermeidliches hin, sondern trachtete danach, sie nicht durch Probieren, Barrieren, Modifizieren zu verbessern, sondern ihre Herstellung auf wissenschaftliche Berechnung zu gründen. In diesem Gedanken fanden sich Zeiß und Abbe zusammen. Anfängliche Mißerfolge schienen der Behauptung der Konkurrenz recht zu geben, daß Mikroskope auf Grund der Theorie nicht gebaut werden könnten, ja sie betonten schadenfroh bei der Empfehlung ihrer Erzeugnisse, daß sie sie nicht nach Jenaer Art hergestellt hatten. Bald aber hatten Abbe und Zeiß des Rätsels Lösung gefunden, und 1886 wurde bei zirka 300 Arbeitern das zehntausendste Mikroskope fabriziert! Bedingt wurde dieser einzigartige Aufschwung auch mit dadurch, daß 1882 Otto Schott aus Witten nach Jena übersiedelte und unter Mitwirkung von Carl Zeiß und seinem Sohne Roderich Zeiß und Dank einer bedeutenden Beihilfe der preußischen Regierung 1884 das „Glastechnische Laboratorium“ eröffnen konnte. Durch das Zusammenarbeiten der drei Männer Zeiß, Abbe und Schott beginnt die Reifezeit, das Emporwachsen zum Großbetrieb, der sich nicht an der Mikroskopherstellung genügen läßt, sondern die gesamte praktische Optik umspannt. 1875 wurde Ernst Abbe, 1881 Roderich Zeiß Teilhaber ; als aber am 3. Dezember 1888 Carl Zeiß starb und 1889 Roderich Zeiß zurücktrat, gründete Ernst Abbe im Mai 1889 die „Carl-Zeiß-Stiftung zu Jena“ und machte damit dieses Jahr zu einem zweiten bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Firma. Damit freilich gewann Jena, das bisher ein beschauliches Gelehrtennest gewesen war, eine andere Physiognomie : bei einer Gesamtbevölkerung von 14 000 Menschen wollen freilich 500 Arbeiter noch nicht soviel besagen wie 500 Studenten; Jena verdiente an jenen auch höchstens eine halbe Million Mark im Jahre 1889. Aber es bahnte sich doch hier eine neue Macht die Wege, die damals freilich durch das Sozialistengesetz von 1878 im Schach gehalten wurde, sich aber doch schon 1872 dazu verstanden hatte, in Wilhelm Liebknecht einen eigenen Kandidaten für Jena aufzustellen, und die es gern und wiederholt betonte, daß Karl Marx 1811 in Jena zum Doktor promoviert worden war. Und dazu kam, daß Jena außer dem optischen und glastechnischen Laboratorium über wenige andere Fabriken nur verfügte. Denn industriell war Jena nur wenig entwickelt: am bedeutendsten war die Weidigsche Klavierfabrik, die 1843 in Heichelheim gegründet worden war, bald aber nach Jena verlegt wurde, wo sie zuerst in der Lödder- und 1857 in der Quergasse ein Unterkommen gefunden hatte, bis sie 1883 nach der Nollendorfer Vorstadt übersiedelte. Daneben durfte die 1810 gegründete Seifenfabrik von Triebitz Anspruch auf Beachtung erheben. 1826 hatte der Maurermeister Timter die Ratsziegelei erworben, die 1859 in den Besitz von Bernhard Böhme überging ; daneben schwang sich 1859 – 1873 die Timtersche Ofenfabrik zu großem Ansehen auf. 1868 folgten die Hartungschen und Grunerschen Sägewerke. 1870 gründete Krüger die Magdelstiegelziegelei 1871 Hugo Boehme eine Zementfabrik, die freilich 1883 in eine Blechemballagenfabrik umgewandelt wurde. Damit haben wir aber auch alles, was an Fabriken im damaligen Jena bestand, denn die Zinngießerei von Franz Hering und die Kupferschmiede von Pflug genossen zwar weiterhin einen berechtigt guten Ruf, aber weder bei ihren Arbeitern noch denen der anderen Betriebe konnten die Zeiß-Arbeiter wesentlichen Rückhalt finden. Freilich dürfen wir in diesem Zusammenhänge nicht übersetzen, daß sich auch in Jenas unmittelbarer Umgebung industrielle Unternehmungen entwickelt hatten. So bestanden in Wenigenjena die Kammgarnfabrik von Eduard Weimar ( 1820-1890), wo auch 1864 die erste Dampfmaschine aufgestellt wurde, die Lüdkesche Fabrik für Studentenrequisiten und die Glasersche Klavierfabrik, in Burgau war 1881 die Frommoltsche Holzstoffabrik und in Göschwitz 1886 die Portland Zementfabrik errichtet worden, aber alle diese Unternehmungen hielten sich zunächst doch in ganz bescheidenen Grenzen. Weit bekannter waren dagegen Jenas Verlage, von denen der Neuenhahnsche der älteste war, daneben sich seit 1850 der Costenblesche, seit 1853 der Verlag und das Antiquariat von Friedrich Strobel und namentlich seit 1878 als Maukes Nachfolger der Verlag von Gustav Fischer neben Frommanns und Junkelmanns Verlag Jena zu einem buchhändlerisch beachtenswerten Städtchens gemacht hatten. Gewiß hatte sich auch Jena seit dem Anschluß an das Eisenbahnnetz entwickelt; aber wenn es 1884 noch die drittgrößte Stadt nach Weimar und Eisenach im Großherzogtum gewesen war, so hatte Apolda es schon im Jahre 1880 überflügelt; jenes hatte sich in diesem Zeitraume nur verdoppelt, dieses aber verfünffacht! Was aber immer zu Jenas Gunsten gesprochen hatte, was seinerzeits sogar ausschlaggebend gewesen war, daß die Universität hierher verlegt wurde, waren Jenas weithin bekannte günstige Gesundheitsverhältnisse : Jenas Sterblichkeit hielt sich in den Jahren 1887 – 1889 auf 15.91; 16.70; und 16.11 pro Tausend, und alle anderen thüringischen Städte wiesen eine z.T. sogar sehr wesentlich höhere Sterblichkeitsziffer auf. Verhältnismäßig gering war die Zahl der Bürger: noch 1882 waren 10.7 % der Bewohner Bürger, 1889 besaßen nur noch 8.3 % das Bürgerrecht. Mitbestimmend mag hierbei gewesen sein, daß seit dem Sportelgesetz vom 5. Januar 1887 die Erwerbung des Bürgerrechts an die Gebühr von 15 M. gebunden war, und gar mancher wird diese Abgabe gescheut haben. Mit dem Wachsen der Bevölkerung hatte nun aber die Zunahme an Häusern, namentlich an Kleinwohnungen , in keiner Weise Schritt gehalten, und schon 1886 hatte deshalb der Gemeindevorstand die Bildung einer Baugesellschaft ins Werk gesetzt. Drei Jahre dauerte es, bis die Satzungen ausgearbeitet waren und ein Aufruf zur Anteilszeichnung beabsichtigt werden konnte; vor allem bildeten die ungewöhnlich hohen Baupreise ein solches Hindernis, daß man sich zunächst überhaupt keinerlei Rentabilität zu versprechen vermochte. Wie dringend nötig Abhilfe war, ersieht man daraus, daß bei 516 Wohnungen, die weniger als 100 M. kosteten, in 342 die Küche fehlte und 44 als ungesund bezeichnet werden mußten! Daß man im Jahre 1887 11 und 1888 15 Neubauten errichtet hatte, linderte zwar das Übel etwas, vermochte es aber nicht annähernd zu beheben.

Recht gut entwickelt hatten sich in Jena die Schulen. Als älteste reichte die Bürgerschule in ihren Anfängen bis in die Reformationszeit, ja sogar noch weiter zurück. Die Schülerzahl war natürlich gewachsen; man stand daher schon 1887 vor der schwerwiegenden Frage, ein neues Schulhaus bauen zu müssen, und zwar legte man dem Ministerium den Plan für ein Schulhaus vor, in dem man 26 Klassen hätte unterbringen können. Infolge allerlei Bedenken entschloß man sich aber 1889, das Haus kleiner zu bauen, so daß nur 18 Klassen Platz gefunden hätten, während man die alte Bürgerschule hinter der Kirche mit 8 Klassen beizubehalten sich entschloß. Für die höhere Ausbildung der Knaben sorgte das Pfeiffersche Institut, das 1832 von dem Schweizer Dr.Herzog hier errichtet worden und seit 1882 unter dem Direktor Dr.Pfeiffer mächtig emporgeblüht war. Daneben bestand die Stoysche Erziehungsanstalt seit 1880 und seit 1876 das Gymnasium, das bis 1889 151 Abiturienten entlassen hatte. Für die höhere Ausbildung der Mädchen bestanden die Schmidtsche und Schülersche Schulen, die in Fräulein Strohschein und Ludewig Leiterinnen gefunden hatten, die in ihrer Vorbildung den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Die Stadt erwog ernstlich den Plan, durch Übernahme der einen oder beider Privatschulen eine städtische höhere Mädchenschule zu gründen, schon im Jahre 1888, kam aber zu keinem Entschluß. Im Jahre 1858 war eine städtische gewerbliche Fortbildungsschule ins Leben gerufen worden, die sich unter der Leitung von Flex und seit 1863 von Papst erfreulich entwickelt hatte.

Für die Belehrung und Unterhaltung der Bevölkerung hatte Karl Köbler auf seinem Engelgrundstück 1873 sein Sommertheater gebaut, in welchem „Martin Luther“ seine Uraufführung erlebte und alljährlich die akademischen Konzerte ein musikliebendes und verständiges Publikum den bedeutendsten Künstlern lauschen ließen. Nehmen wir dazu, daß Jena seit 1879 ein Oberlandesgericht beherbergte, daß es Sitz des Amtsgerichtes, Standort des Militärs war, so wird man verstehen, daß alljährlich ein beträchtlicher Fremdenzustrom die Stadt passierte. Im Jahre 1888 belief sich deren Zahl auf 22 143 Menschen, und daran hatten die Bahnen sicherlich das Hauptverdienst. An die Bahn von Nord – Süd waren waren ja auch schon die Unstrut- und die Halle – Bebra-Bahn, aber auch Schwarza – Blankenburg, Pößneck – Judewein, Pößneck – Oppurg und Probstzella – Eichicht und an die Ost – West-Bahn Gera – Glauchau, Gera – Eichicht und Weimar – Berka angeschlossen. Zwar besorgten seit 1866 die Trautmüllern und die alten Gießler noch immer regelmäßig ihre Botengänge, aber ihre Verdienstmöglichkeiten verminderten sich von Monat zu Monat. Beide Bahnen waren Privatunternehmen, das einzige Moment, das sich schädigend, namentlich auf die Höhe der Frachtsätze, auswirkte. Mit Apolda vermittelte die Botenfrau Charlotte Thiele seit 1857 einen regelmäigen Verkehr. Das Projekt, eine Bahn zwischen Apolda und Jena herzustellen, „ hat ein lebhaftes Interesse in unserer Stadt kaum zu erwecken vermocht“. Störend empfand man in Jena immerhin, daß es keinen Fernsprechverkehr gab. Vereinzelte Betriebe, Zeiß, Pohle, Fischer , Böhme und die Stadtverwaltung hatten sich interne Anlagen geschaffen; als aber z.B. die Stadtverwaltung ihre Anlage auch dem Publikum zur Verfügung stellte, legte die Erfurter Oberpostdirektion auf Grund des Art.48 der Reichsverfassung Einspruch ein, der dann freilich im Vergleichswege zurückgezogen wurde.

Um den Fremden Jena aber noch lockender zu gestalten, hatte der Baurat Karl Botz nicht geruht, ehe er nicht eine große Zahl von Verschönerungen der Umgegend unserer Stadt durchgeführt hatte: die Bewaldung des Tatzend war seine erste Tat, es erfolgte der Bau von Zugangswegen zum Forst und zum Tatzend, die Anlage des Weges durch den Münchenrodaer Grund zum Forste; die Bewaldung an der Nordseite der Kernberge, der Bau der Horizontale bis zur Diebeskrippe, die Wege am Jenzig, an den Sonnenbergen, zur Kunitzburg, und endlich die Bepflanzung und Wegeanlage im Mühltale. Mit einer Großzügigkeit und verständnisvollem Geschmack hat sich Botz, der seit 1846 als Chausseebauinspektor in Jena wohnte, dieser seiner Lieblingtätigkeit gewidmet, daß sein Tod 1890 allgemein auf das allerlebhafteste bedauert wurde.

An der Spitze dieser aufblühenden und mannigfach interessanten Stadt stand nach Eucken-Addenhausens Abgang der Bürgermeister Dr. Thieler, dessen Geschäfte im Behinderungsfalle der stellv. Bürgermeister Eduard Polz führte. Ein herzliches Einvernehmen herrschte mit dem Gemeinderate, dessen Vorsitzender,Oberlandesgerichtsrat Dr. Krieger, die Sitzungen mit Geschick und Würde zu leiten verstand. Der Gemeinderat hatte sich 1854 eine Geschäftsordnung gegeben, die 1862 erweitert worden war. Bei dem ruhigen Verlaufe der Sitzungen und dem ungestörten Geschäftsgange hatten sie sich als völlig ausreichend die Jahrzehnte hindurch erwiesen. Gewissenhafte und arbeitsfreudige Beamte standen dem Bürgermeister hilfreich zur Seite, namentlich der Stadtschreiber Robert Bergmann, der seit 1877 in städtischen Diensten stand und 1882 anstatt des Stadtschreibers Buschmann amtierte, welcher von 1851 an diesen Posten verwaltet hatte und 1910 starb.

1888 hatte man in Cosack einen recht fähigen Stadtbaudirektor angestellt, doch machte sich seitens der Jenaer Architekten schon bald eine gewisse Gegnerschaft bemerkbar, weil dem Stadtbaudirektor die Entwürfe und Ausführung von Bauten überlassen wurden, an denen bisher jene mitgearbeitet hatten. Nach der Gemeindeordnung von 1869, die sich in vielen Punkten als recht unpraktisch erwiesen hatte, und an deren Revision Regierung und Landtag arbeiteten, waren die Städte die Inhaber der Polizeigewalt. Demgemäß hatte man 1887 das Meldewesen in Jena umgestaltet, hatte im Anschluß an die beiden Hochwasser des Jahres 1888 mit Saalfeld und Saalburg einen Hochwassernachrichtendienst eingerichtet, hatte man den neuen Friedhof geschaffen, vor allem aber am 22.Juni 1881 den Stadtbauplan genehmigt und am 31.August 1887 die Kanalisation beschlossen. Beide Beschlüsse wirkten sich in der Folgezeit erst richtig aus und führten Streitigkeiten herbei, wie sie das vergangene Jahrzehnt nicht für möglich gehalten hätte. Der Stadtbauplan war von einem Ausschuß bearbeitet worden, der aus den Herrren Timler, Botz , Spittel, Uhlitzsch und Hartung bestand; er war 1873 von Regierungsbaumeister Wilckens durchgearbeitet und endlich am 12.September 1882 vom Staatsministerium genehmigt worden; dreizehn Jahre lang hatte man daran gearbeitet. Aber da hier ebenso wie bei der Kanalisation der Einzelne zugunsten der Allgemeinheit geschädigt wurde, verstehen sich von selbst die Abneigung und das Aufbegehren gegen den Stadtbauplan und Kanalisation von seiten weiter Kreise der Bürgerschaft. Am Zustandekommen des Kanalisationsstatuts war der spätere Bürgermeister Eduard Dornbluth nicht unwesendlich beteiligt gewesen. Die größten Schwierigkeiten und das meiste Kopfzerbrechen verursachte auch damals schon den Stadtvätern der „Nervus rerum“,das Geld. Die Stadt sah sich gewaltigen Ausgaben gegenüber, die ihr durch Schulen, Kanalisation, Straßenpflasterung, Wohltätigkeit verursacht wurden, und durfte diese doch nur nach Maßgabe ihrer Einnahmen vornehmen. Gewiß hatten sich die Einnahmen aus der Einkommenssteuer von Jahr zu Jahr gehoben; 1879 betrugen sie 62 000 M. und zehn Jahre später 50 % mehr, und unter den regelmäßigen Einnahmen der Kämmerei standen die Abgaben an erster Stelle, die aus dem Verdienste der Brauerei stammten. Zwar hatten die Universitätsdozenten seit langem auf ihren eigenen Braubetrieb verzichtet: die „Rosenbrauerei“ bereitete der städtischen Brauerei immerhin eine beachtliche Konkurrenz. Nach Auflösung der alten „ Braukommune“ ( 1853 ) hat die Felsenkellerbrauerei nur unrentabel gewirtschaftet, so daß man 1867 ernsthaft an einen Verkauf des Unternehmens dachte. Seit man aber 1883 in Kieslinger einen sehr fähigen Fachmann als Direktor angestellt hatte, hob sich der Ertrag und Verkauf von Jahr zu Jahr, und während man noch 1882 an die Kämmereikasse nur 3 000 M. abgeliefert hatte, konnte man ihr schon 1889 10 000 M. überweisen und im Jahr darauf sogar 17 000 M. Der Bierabsatz hatte sich von 1885 – 1888 von 7180 hl auf 16 5000 hl gehoben. Freilich war es für das Unternehmen nachteilig, daß es soviel von dem Reingewinn an die Stadtkämmerei abliefern mußte; während andere Brauereien den größten Teil ihres Reingewinnes zur Verbesserung ihrer Anlagen verwenden konnten, arbeitete die Brauerei in Jena dazu, das Soll und Haben des Stadthaushalts auszugleichen. Andere gewerbliche Unternehmungen der Stadt bildeten die Gasanstalt und das Wasserwerk. Das erste Gaswerk war 1862 gebaut worden; während aber die Bevölkerung jährlich nur um 3.4 % durchschnittlich gewachsen war, wies der Gasverbrauch eine jährliche Durchschnittssteigerung von 8.5 % auf. Im Jahre 1880 kamen nur 25.3 cbm Gas auf jeden Jenenser, 1890 aber 38.5 cbm, so daß also auch dieses Werk sich sehr bald als unzureichend erwies. Und das gleiche galt für die Wasserversorgung. Schon 1740 hatte man die Leutraquelle gefaßt; 1878 war die Hochdruckwasserleitung von Ammerbach angelegt worden. Zehn Jahre später aber erwarb die Stadt für 13 200 M. die im Mühltal gelegenen, 51 321 qm großen Hoffmannschen Grundstücke, um sie zur Wassererschließung auszuwerten. Auch für die öffentliche Fürsorge und Wohltätigkeit hatte die Stadt mancherlei getan. Für die Armen- und Krankenpflege hatte man drei Gemeindeschwestern angestellt, für weibliche Arme wurde ein Arbeitsnachweis auf dem Rathause errichtet, das städtische Arbeits- und Verpflegungshaus, wo Obdach- oder Erwerbslose und auch Arbeitsscheue ein Unterkommen fanden, war 1882 umgestaltet worden, das St.Nikolaus-, St.Jakob- und St. Magdalenenspital boten altersschwachen Leuten aus Jena und stiftungsgemäß auch aus Oßmaritz und Jenalöbnitz Aufnahme. Auch das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz hatte der Stadtgemeinde beträchtliche Unkosten verursacht, so daß sie von 1885 –1888 insgesamt 22 000 M. für die offene Armenpflege hatte zuschießen müssen. Und dabei überließ die Stadt sogar noch viel, sehr viel sogar der Privatwohltätigkeit, die damals so recht mit Liebe, Verständnis und Erfolg von dem Diakonus Dr. August Kind zentralisiert worden war. An erster Stelle kam hierfür der Zentralfrauenverein in Jena in Frage, der die Versendung von erholungsbedürftigen Kindern nach Bad Sulza, den Unterhalt der Kleinkinderbewahranstalt, der Industrieschule, der Spinnerei und Leinenanstalt besorgte. Daneben betätigte sich seit 1817 der Verein für sittlich-hilfsbedürftige Kinder, seit 1878 der Verein gegen Hausbettelei, seit 1881 die Herberge zur Heimat und endlich, für Jena ganz besonders wichtig, seit 1833 die Stiftungssparkasse, die seit 1869 jährlich ein Drittel ihrer Reingewinnes für öffentliche Zwecke für öffentliche Zwecke auswerfen mußte, und im ersten Jahrzehnt 1869-1879 zirka 34 000 M., im zweiten Jahrzehnt 1879-1889 281 122 M., außerdem aber noch 190 564 M. für das Gymnasium ausgeschüttet hatte.

Müßte es nicht überaus verlockend und reizvoll sein, in einer solchen Stadt, die derart mannigfache und mannigfaltige Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungssicherheiten bot. Stadtoberhaupt zu sein? Dr.Thieler verließ Jena am 31.August des Jahres 1889, ohne daß ein Nachfolger gewählt gewesen wäre. Man hatte allerdings am 15.Juli 1889 eine Bürgermeisterwahl vollzogen, und 657 Stimmen waren von 1162 Bürgern ( 71 % Beteiligung) auf den Stadtrat Schneider aus Grimmitschau abgegeben worden. Dieser aber war tags zuvor zum Bürgermeister von Pirna gewählt worden, so daß die Jenenser den Posten erneut ausschreiben mußten. Zu Bewerber meldeten sich, in engere Wahl kamen Regierungs...,Schmidt ( Eisenach ), Stadtrat Karras ( Kottbus ) und Gemeindevorstand Heinrich Singer ( Gohlis ),von denen letzterer am 19.September 1889 von einer Bürgerversammlung, die von Engel abgehalten worden war, als einziger Kandidat bezeichnet wurde. An der Wahl am 30. September beteiligten sich 74 % der Stimmberechtigten, und Singer wurde gegen Schmidt mit 765 gegen 75 Stimmen gewählt. Am 3. Dezember 1889 fand seine feierliche Einführung durch den Bezirksdirektor Carl Born aus Apolda im Rathaus statt. Für Singer hatte vor allem gesprochen, daß er in Gohlis ein Gemeinwesen hatte leiten müssen, das sich in den letztvergangenen Jahren unerwartet schnell entwickelt hatte, so daß man dem neuen Bürgermeister schon ein gewisses Maß an Erfahrung und Vorbereitung für die Aufgaben zutrauen mochte, die ihm hier entgegentraten. Während des Interregnums hatte der Gemeinderat wegen der Paradiesschule einen neuen Beschluß gefaßt: statt der beabsichtigten 18 klassigen Schule, die auf 192 000 M.veranschlagt war, sollte Cosack den Entwurf für eine 24 klassige Schule vorlegen, die man auf 240 000 M. berechnete. Die erste Aufgabe, der Singer mithin gegenübergestellt wurde, war der Haushaltsplan für das Jahr 1890. Selbstverständlich hatten die drei Wochen, die Singer im Amte weilte, nicht genügt, um irgendwie formend oder gestaltend hierauf einzuwirken : der neue Plan unterschied sich daher fast nur durch erhöhte Zahlen, nicht aber durch Anlage usw. von seinen Vorgängern. Bis zum 30.September 1912 ist Heinrich Singer an der Spitze der Stadtverwaltung geblieben. 1893 erhielt er die Dienstbezeichnung Oberbürgermeister, am 16. Dezember 1893 und am 12.Januar 1901 wurde er wiedergewählt, sein Gehalt allmählich von sechs- auf zehntausend Mark erhöht, zu Weihnachten 1901 verlieh ihm der Großherzog das Ritterkreuz des Falkenordens und 1908 wurde er Ehrendoktor der jenaischen Juristenfakultät. Als hervorragendem Redner übertrug man ihm bei den Bismarck, Moltke, Sedankommersen die Festansprache, und im Juli 1891 fand er neben seinen aufreibenden und zeitraubenden Arbeiten noch Muße, den Schwarzenberg in Deorients „ Gustav Adolf“ zu spielen. Ein Bürgermeister ganz nach dem Herzen der Jenenser ; jovial im Amte wie abends im Freundeskreise, witzig, unterhaltend, schlagfertig, ein Freund der Natur und der Naturschönheiten der Stadt, die ihm dann bald lieb, bald zur wirklichen Heimat geworden ist. Ein Mann, der den großen Vorzug hatte, sich nicht für unfehlbar zu halten, der ehrlich Fehler eingestand, wo er sie begangen hatte, auch mit dem Strome schwamm, wenn er sich überzeugt hatte, daß er dagegen nicht ankam, und nie und niemandem nachtrug; versöhnlich, soweit es sich mit Amt und Würde vertrug. Der Tradition der Stadt und der Stadtverwaltung entsprechend, hielt es Singer für die vornehmste Aufgabe, dem Institut seitens der Stadt jede Förderung zuzuwenden, dem die Stadt bis dahin recht eigendlich ihre Bedeutung verdankte: der Universität, wenn gleich hierbei sein Einfluß natürlich nur beschränkt sein konnte. Aber wo die ............ der Hochschule auf die Hilfe der Stadt rechnen mußte, bei Neubauten, Vergrößerungen ihrer Institute, Aufrechterhaltung eines freundschaftlichen Verhältnisses zwischen Akademie und Bürgerschaft, hat Heinrich Singer stets und unentwegt gefördert und geholfen. Bedeutete doch die Akademie mit ihren stetig wachsenden Besuche- Im Sommersemester 1904 der tausendste und im Sommersemester 1911 der zweitausendste Student- eine ganz gewaltige Finanzquelle für die Stadt : verdiente doch die Stadt an den 1200 Studenten im Jahre 1905 zirka zwei Millionen Mark, und an den vielen Neubauten, die in diesem Vierteljahrhundert durch die Hochschule in Jena errichtet worden sind, hatten auch die Jenaer Handwerker eine nicht unbeträchtliche Mehreinnahme zu buchen. Die Erweiterung der Universitätsanstalten begann schon 1890 mit dem chemischen Laboratorium, 1892 mußte die Bibliothek erweitert werden, 1898 wurde die Augenklinik und das pädagogische Seminar, 1902 das physikalische Institut, 1903 das Nahrungsmitteluntersuchungsamt, das pharmazeutische und das chemisch-technische, 1904 das hygienische und das mineralogische Institut eröffnet, 1905 die neue Nervenklinik, die Frauenklinik, 1907 das phyletische Museum und 1909 der Anatomieerweiterungsbau eingeweiht. Und dazu kam 1908 die Einweihung der neuen Universität, für die im Jahre 1900 die Carl-Zeiß-Stiftung eine halbe Million Mark gestiftet hatte, Dr.Winkler 100 000, die Stadtverwaltung 100 000 M und 1903 Dr.Gustav Fischer aus Anlaß seines Geschäftsjubiläums 100 000 M. bewilligten. Die „ Wucherei“ hatte sich ja schon längst als zu eng erwiesen; aus dem Wettbewerb, zu dem man am 15.Juli 1903 die Architekten Fischer ( Stuttgart ),Kaiser ( Berlin ),Großheim ( Berlin ), Hocheder ( München ),Hartung ( Dresden ) und Pützer ( Darmstadt ) aufgefordert hatte, ging am 9. Januar 1904 Theodor Fischer als Sieger hervor; am 22.Juni 1907 konnte das Richtfest gefeiert werden und im August 1908 fand die feierliche Einweihung des stattlichen Gebäudes statt. Während dieser Zeit waren aber auch Verhandlungen zwischen der Stadt und der Akademie zum Abschluß gekommen. 1902 wurde das Steuerprivileg der Dozenten im Prinzip abgeschafft und das mit eine Frage gelöst, die einst viel Murren, viel Unzufriedenheit, viel Verstimmung verursacht hatte. Für die Universität selbst bedeutete es eine wichtige Neuerung, daß vom 1.April 1902 ab Frauen auch als Hörerinnen in der philosophischen Fakultät und fünf Jahre später als Studentinnen in allen Fakultäten zugelassen wurden. Schon am 30.Juli 1904 hatte die Enkelin des Telegraphen Morse „ magna cum laude“ in Philosophie ihr Doktorexamen bestanden. Hielt sich die Zahl der Studentinnen zunächst auch noch in bescheidenen Grenzen, so hatte Jena doch endlich als letzte aller deutschen Universitäten ihnen den Zutritt ermöglicht. Das Verhältnis zwischen Student und Bürgerschaft blieb ungetrübt herzlich und freundschaftlich ; man sah ihnen manches nach, was man anderen Bewohnern nicht zugestanden hätte. Die Stadtverwaltung konnte Jahr für Jahr einen höheren Posten aus Strafgeldern in ihr Budget einstellen, und daß sie nicht kleinlich war, dafür stammt aus dem Jahre 1911 der launige Briefwechsel mit einem Burschenschafter, der um Nachlaß einer Geldstrafe ersuchte, da ihm das 25. Strafmandat zugegangen sei! Wichtigere Vorfälle karrikieren die Studenten in ihren witzigen Umzügen, von denen der „ Spittelkirchen „ Umzug ebenso die Billigung weiter Kreise der Bevölkerung fand wie der Teutenenumzug von 1911 auf ihr Verständnis rechnen konnte, als man ihnen verbot, ihre Tische auf den Bürgersteig zu setzen. Am 15.Februar 1911 fand die „ Himmelsziege“ ihr Ende, und Kämmer Karl, der Studentenwirt, der 70 000 M. Studentenaußenstände hinterließ, und Blumenröschen, die Ewig Jugendliche, haben ebenfalls in dieser Zeit ihr freudespendendes Dasein beendet. Und bei dem einzig