Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte/1/004: Unterschied zwischen den Versionen
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die Gegenwart uns jährlich vor Augen stellt, das dürfen wir auch in vorhistorischer Zeit annehmen. Es ist ein Einwandern, und wenn die Verhältnisse drängen, wieder ein Auswandern. Neue Volksstämme entsprießen aus den alten. Auf dem neugewonnenen Boden erfolgt eine Vermischung mit den Resten der überwundenen Ureinwohner; in Sprache, Sitte, Cultur nehmen beide gegenseitig von einander an, und bedingt durch die Beschaffenheit des neuerworbenen Landes kommen immer neue Entwicklungsformen zum Vorschein, in denen dennoch stark der unvertilgbare eigenthümliche Charakter des Germanischen Stammes durchschimmert. So z. B. in Frankreich, Spanien, überall wohin Germanische Stämme kamen, am allermeisten in dem uns so nah verwandten England, neuerlich wieder in Nordamerica Es muß hier an diesen allgemeinen Bemerkungen genügen: den Spuren aller jener Ein- und Auswanderungen nachzugehen liegt außer unsrem Bereich. Von Cimbern und Teutonen, Gothen, Wandalen, Langobarden soll und kann hier nicht die Rede sein. Des späteren Zuges der Angeln und Sachsen nach Brittannien um die Mitte des fünften Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung (bekanntlich wird der Anfang gewöhnlich 449 gesetzt; die Züge dauerten aber bis tief in das folgende Jahrhundert fort) ist besonders zu erwähnen, nicht nur, weil die Gegenden, von welchen sie auszogen, erweislich die unsrigen sind, sondern hauptsächlich, weil von ihrem neuen Vaterlande, wo sie anfangs gegen die dort schon bestehende christliche Kirche gewüthet, nachher aber das Christenthum angenommen hatten, großentheils in der Folge das Christenthum nach diesem ihrem alten Vaterlande herübergebracht worden ist, wie wir später hören werden. Wir eilen über jene Jahrhunderte hinweg, um ins Auge zu fassen, wie gegen das Ende des achten und zu Anfange des neunten, um die Zeit, in welche die ersten Versuche zur Gründung der christlichen Kirche in diesen Landen fallen, der Zustand derselben war.<ref> | die Gegenwart uns jährlich vor Augen stellt, das dürfen wir auch in vorhistorischer Zeit annehmen. Es ist ein Einwandern, und wenn die Verhältnisse drängen, wieder ein Auswandern. Neue Volksstämme entsprießen aus den alten. Auf dem neugewonnenen Boden erfolgt eine Vermischung mit den Resten der überwundenen Ureinwohner; in Sprache, Sitte, Cultur nehmen beide gegenseitig von einander an, und bedingt durch die Beschaffenheit des neuerworbenen Landes kommen immer neue Entwicklungsformen zum Vorschein, in denen dennoch stark der unvertilgbare eigenthümliche Charakter des Germanischen Stammes durchschimmert. So z. B. in Frankreich, Spanien, überall wohin Germanische Stämme kamen, am allermeisten in dem uns so nah verwandten England, neuerlich wieder in Nordamerica Es muß hier an diesen allgemeinen Bemerkungen genügen: den Spuren aller jener Ein- und Auswanderungen nachzugehen liegt außer unsrem Bereich. Von Cimbern und Teutonen, Gothen, Wandalen, Langobarden soll und kann hier nicht die Rede sein. Des späteren Zuges der Angeln und Sachsen nach Brittannien um die Mitte des fünften Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung (bekanntlich wird der Anfang gewöhnlich 449 gesetzt; die Züge dauerten aber bis tief in das folgende Jahrhundert fort) ist besonders zu erwähnen, nicht nur, weil die Gegenden, von welchen sie auszogen, erweislich die unsrigen sind, sondern hauptsächlich, weil von ihrem neuen Vaterlande, wo sie anfangs gegen die dort schon bestehende christliche Kirche gewüthet, nachher aber das Christenthum angenommen hatten, großentheils in der Folge das Christenthum nach diesem ihrem alten Vaterlande herübergebracht worden ist, wie wir später hören werden. Wir eilen über jene Jahrhunderte hinweg, um ins Auge zu fassen, wie gegen das Ende des achten und zu Anfange des neunten, um die Zeit, in welche die ersten Versuche zur Gründung der christlichen Kirche in diesen Landen fallen, der Zustand derselben war.<ref> Eine ungeheure Gelehrsamkeit ist verwendet auf die Deutung, Vergleichung und versuchte Vereinigung sowohl der Nachrichten, die von den alten Griechischen und Römischen Schriftstellern über den europäischen Norden aufbehalten sind, als der hauptsächlich erst in neueren Zeiten mehr ans Licht geförderten Nordischen, insbesondere Isländischen Quellen. Aus jenen wie aus diesen tritt dem unbefangenen Leser und Forscher allerdings ein Gesammtbild des altgermanischen Lebens entgegen, dem es an Wahrheit nicht fehlen kann; aber etwas anderes ist es Geschichte, wahrhaft documentirte Thatsachen gar mit bestimmten Jahreszahlen daraus entnehmen zu wollen. Es gilt dies namentlich von den Nordischen Sagas. Wahrheit ist in ihnen und Wirklichkeit bildet ihre Grundlage; aber ihre Aufzeichnung ist erst im 12. Jahrhundert geschehen, nachdem sie Menschenalter hindurch von Mund zu Munde gegangen. Dahin gehört auch die ältere oder poetische Edda, die jüngere prosaische Snorri Sturlusons (gest. 1241) in die erste Hälfte des 13. In jener sind sicherlich uralte Bruchstücke. Man wird bei manchen an das erinnert, was Cäsar von den gallischen Druiden sagt, daß sie in Versen, die oft einen geheimnißvollen Sinn hatten, ihre Lehre mittheilten. Da mußte denn eine mündliche Auslegung daneben hergehen - und bei den Gesängen der Edda müssen wir gleichfalls eine solche voraussetzen, die aber für uns verloren ist, und so fehlt uns zu vielem der Schlüssel. Es verschwimmt das Mythische und das Historische so in einander, daß eine Scheidung unthunlich ist. Man muß sich daher an den Haupt-Ideen und an dem Gesammtbilde genügen lassen, sowohl was die Lebens- und Denkweise, als was die geschichtlichen Hergänge betrifft. Wie wenig, was die letzteren angeht, namentlich Saxo Grammaticus der vielfältig von den dänischen Geschichtsschreibern als eine Hauptquelle benutzt worden ist, eine Grundlage für die Geschichte des Nordens abgeben kann, ist von Dahlmann (siehe unter andern Seite 9 - 14 des ersten Bandes seiner Geschichte von Dänemark) so schlagend nachgewiesen, daß man wie dieser mein hochverehrter Lehrer a. a. O. sich ausdrückt, es nur aus "der oft im Leben gemachten Erfahrung von der Unüberzeugbarkeit des menschlichen Verstandes in Glaubens- und Neigungs-Sachen" wird zu erklären haben, wenn fort und fort, als wäre es beglaubigte Geschichte, nachgeschrieben wird, was dafür zu gelten durchaus keinen Anspruch machen kann. Unser Schlesw.-Holst. gemeinnütziger Almanach zählte noch 1840: "Vom Anfang des Königreichs Dänemark durch Dan den ersten König 2913 Jahr." - Uebrigens soll nicht verkannt werden, daß der Norden in seinen Eddas, in seinen Sagen und in seinem Saxo, der aus diesen schöpfte, Schatzgruben besitzt, an deren Ausbeutung, die mit so vielem Fleiße begonnen hat, sicher wird fortgearbeitet und manches als Resultat zu Tage gefördert werden, das zur wahren Aufhellung der Vorzeit dienen wird.</ref> | ||
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Version vom 1. April 2008, 07:49 Uhr
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Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte | |
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die Gegenwart uns jährlich vor Augen stellt, das dürfen wir auch in vorhistorischer Zeit annehmen. Es ist ein Einwandern, und wenn die Verhältnisse drängen, wieder ein Auswandern. Neue Volksstämme entsprießen aus den alten. Auf dem neugewonnenen Boden erfolgt eine Vermischung mit den Resten der überwundenen Ureinwohner; in Sprache, Sitte, Cultur nehmen beide gegenseitig von einander an, und bedingt durch die Beschaffenheit des neuerworbenen Landes kommen immer neue Entwicklungsformen zum Vorschein, in denen dennoch stark der unvertilgbare eigenthümliche Charakter des Germanischen Stammes durchschimmert. So z. B. in Frankreich, Spanien, überall wohin Germanische Stämme kamen, am allermeisten in dem uns so nah verwandten England, neuerlich wieder in Nordamerica Es muß hier an diesen allgemeinen Bemerkungen genügen: den Spuren aller jener Ein- und Auswanderungen nachzugehen liegt außer unsrem Bereich. Von Cimbern und Teutonen, Gothen, Wandalen, Langobarden soll und kann hier nicht die Rede sein. Des späteren Zuges der Angeln und Sachsen nach Brittannien um die Mitte des fünften Jahrhunderts der christlichen Zeitrechnung (bekanntlich wird der Anfang gewöhnlich 449 gesetzt; die Züge dauerten aber bis tief in das folgende Jahrhundert fort) ist besonders zu erwähnen, nicht nur, weil die Gegenden, von welchen sie auszogen, erweislich die unsrigen sind, sondern hauptsächlich, weil von ihrem neuen Vaterlande, wo sie anfangs gegen die dort schon bestehende christliche Kirche gewüthet, nachher aber das Christenthum angenommen hatten, großentheils in der Folge das Christenthum nach diesem ihrem alten Vaterlande herübergebracht worden ist, wie wir später hören werden. Wir eilen über jene Jahrhunderte hinweg, um ins Auge zu fassen, wie gegen das Ende des achten und zu Anfange des neunten, um die Zeit, in welche die ersten Versuche zur Gründung der christlichen Kirche in diesen Landen fallen, der Zustand derselben war.[1]
- ↑ Eine ungeheure Gelehrsamkeit ist verwendet auf die Deutung, Vergleichung und versuchte Vereinigung sowohl der Nachrichten, die von den alten Griechischen und Römischen Schriftstellern über den europäischen Norden aufbehalten sind, als der hauptsächlich erst in neueren Zeiten mehr ans Licht geförderten Nordischen, insbesondere Isländischen Quellen. Aus jenen wie aus diesen tritt dem unbefangenen Leser und Forscher allerdings ein Gesammtbild des altgermanischen Lebens entgegen, dem es an Wahrheit nicht fehlen kann; aber etwas anderes ist es Geschichte, wahrhaft documentirte Thatsachen gar mit bestimmten Jahreszahlen daraus entnehmen zu wollen. Es gilt dies namentlich von den Nordischen Sagas. Wahrheit ist in ihnen und Wirklichkeit bildet ihre Grundlage; aber ihre Aufzeichnung ist erst im 12. Jahrhundert geschehen, nachdem sie Menschenalter hindurch von Mund zu Munde gegangen. Dahin gehört auch die ältere oder poetische Edda, die jüngere prosaische Snorri Sturlusons (gest. 1241) in die erste Hälfte des 13. In jener sind sicherlich uralte Bruchstücke. Man wird bei manchen an das erinnert, was Cäsar von den gallischen Druiden sagt, daß sie in Versen, die oft einen geheimnißvollen Sinn hatten, ihre Lehre mittheilten. Da mußte denn eine mündliche Auslegung daneben hergehen - und bei den Gesängen der Edda müssen wir gleichfalls eine solche voraussetzen, die aber für uns verloren ist, und so fehlt uns zu vielem der Schlüssel. Es verschwimmt das Mythische und das Historische so in einander, daß eine Scheidung unthunlich ist. Man muß sich daher an den Haupt-Ideen und an dem Gesammtbilde genügen lassen, sowohl was die Lebens- und Denkweise, als was die geschichtlichen Hergänge betrifft. Wie wenig, was die letzteren angeht, namentlich Saxo Grammaticus der vielfältig von den dänischen Geschichtsschreibern als eine Hauptquelle benutzt worden ist, eine Grundlage für die Geschichte des Nordens abgeben kann, ist von Dahlmann (siehe unter andern Seite 9 - 14 des ersten Bandes seiner Geschichte von Dänemark) so schlagend nachgewiesen, daß man wie dieser mein hochverehrter Lehrer a. a. O. sich ausdrückt, es nur aus "der oft im Leben gemachten Erfahrung von der Unüberzeugbarkeit des menschlichen Verstandes in Glaubens- und Neigungs-Sachen" wird zu erklären haben, wenn fort und fort, als wäre es beglaubigte Geschichte, nachgeschrieben wird, was dafür zu gelten durchaus keinen Anspruch machen kann. Unser Schlesw.-Holst. gemeinnütziger Almanach zählte noch 1840: "Vom Anfang des Königreichs Dänemark durch Dan den ersten König 2913 Jahr." - Uebrigens soll nicht verkannt werden, daß der Norden in seinen Eddas, in seinen Sagen und in seinem Saxo, der aus diesen schöpfte, Schatzgruben besitzt, an deren Ausbeutung, die mit so vielem Fleiße begonnen hat, sicher wird fortgearbeitet und manches als Resultat zu Tage gefördert werden, das zur wahren Aufhellung der Vorzeit dienen wird.