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von Dr. Peter Hamann <ref>Autor: Dr. Peter Hamann, 24326 Dörnick, Auf der Halbinsel; E-Mail: molo1.plessen@gmx.at<br> | |||
"Das Salzburger Tuch von 1707": Veröffentlichung des Salzburg-Museums vom Juli 2007/20.Jahrgang/Blatt 231. <br> | |||
Salzburg Museum, Mozartplatz 1, 5010 Salzburg. Tel.+43-662-62 08 08-0. E-mail: office@salzburgmuseum.at.wvvw.salzburgrnuseum.at. <br> | |||
Herausgegeben von Erich Marx. Redaktion und Satz: Peter Laub. Gestaltung: Peter Laub nach Drahtzieher-Visuelle Kommunikation, Roberl Six. <br> | |||
Herstellung: Druckerei Roser Ges.m.b.H. & Co. KG, Salzburg<br> | |||
Genehmigung zur Veröffentlichung liegt vom Autor vom 24.03.2012 vor. </ref> | |||
[[Datei:Bild Salzburger Tuch 01.jpg|links|thumb|450px|Abbildung 1: Salzburger Tuch (Bettlaken), St. Johann/Pongau, vermutlich 1707, Leinen bestickt, Monogramm „J H" (Johann Hillgruber) Rot-weiß-rote Webborte, einfache Klöppelborte mit Fransen, 202 x 178 cm. Dörnick/Schleswig Holstein/Deutschland, Privatbesitz Fritz Hillgruber. Derzeit im Salzburg Museum als Leihgabe in der Präsentation „Salzburger Emigration" ausgestellt. Foto: Salzburg Museum, Rupert Poschacher.]] | [[Datei:Bild Salzburger Tuch 01.jpg|links|thumb|450px|Abbildung 1: Salzburger Tuch (Bettlaken), St. Johann/Pongau, vermutlich 1707, Leinen bestickt, Monogramm „J H" (Johann Hillgruber) Rot-weiß-rote Webborte, einfache Klöppelborte mit Fransen, 202 x 178 cm. Dörnick/Schleswig Holstein/Deutschland, Privatbesitz Fritz Hillgruber. Derzeit im Salzburg Museum als Leihgabe in der Präsentation „Salzburger Emigration" ausgestellt. Foto: Salzburg Museum, Rupert Poschacher.]] | ||
[[Datei:Bild Salzburger Tuch 02.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 2: Marsch-Karte der Salzburger Emigranten. Entwurf: W. Hölzl.]] | [[Datei:Bild Salzburger Tuch 02.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 2: Marsch-Karte der Salzburger Emigranten. Entwurf: W. Hölzl.]] | ||
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[[Datei:Bild Salzburger Tuch 05.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 5: Bauernhof Hillgruber in Plienen (später Scharkabude, zuletzt ab 1938 Friedfelde), Kreis Pilkallen/Ostpreußen; Aufbewahrungsort des Tuches von 1733 bis 1945. Gemalt im Jahre 1976 nach Originalansicht des Hauses, Zustand vor 7945, Erbauungsjahr ca. 1732. Gemälde im Besitz der Familie Hillgruber, Dörnick/Schleswig Holstein.]] | [[Datei:Bild Salzburger Tuch 05.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 5: Bauernhof Hillgruber in Plienen (später Scharkabude, zuletzt ab 1938 Friedfelde), Kreis Pilkallen/Ostpreußen; Aufbewahrungsort des Tuches von 1733 bis 1945. Gemalt im Jahre 1976 nach Originalansicht des Hauses, Zustand vor 7945, Erbauungsjahr ca. 1732. Gemälde im Besitz der Familie Hillgruber, Dörnick/Schleswig Holstein.]] | ||
[[Datei:Bild Salzburger Tuch 06.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 6: Reetgedecktes Wohnhaus der Familie Hillgruber in Dörnick. Aufbewahrungsort des Tuches nach der Flucht aus Ostpreußen im Zuge des Zweiten Weltkriegs bis 2007. Foto Familie Hillgruber ]] | [[Datei:Bild Salzburger Tuch 06.jpg|rechts|thumb|450px|Abbildung 6: Reetgedecktes Wohnhaus der Familie Hillgruber in Dörnick. Aufbewahrungsort des Tuches nach der Flucht aus Ostpreußen im Zuge des Zweiten Weltkriegs bis 2007. Foto Familie Hillgruber ]] | ||
<!-- == 300 Jahre europäische Geschichte, 275 Jahre Salzburger Emigration == | |||
von Dr. Peter Hamann <ref>Autor: Dr. Peter Hamann, 24326 Dörnick, Auf der Halbinsel; E-Mail: molo1.plessen@gmx.at<br> | |||
"Das Salzburger Tuch von 1707": Veröffentlichung des Salzburg-Museums vom Juli 2007/20.Jahrgang/Blatt 231. <br> | "Das Salzburger Tuch von 1707": Veröffentlichung des Salzburg-Museums vom Juli 2007/20.Jahrgang/Blatt 231. <br> | ||
Salzburg Museum, Mozartplatz 1, 5010 Salzburg. Tel.+43-662-62 08 08-0. E-mail: office@salzburgmuseum.at.wvvw.salzburgrnuseum.at. <br> | Salzburg Museum, Mozartplatz 1, 5010 Salzburg. Tel.+43-662-62 08 08-0. E-mail: office@salzburgmuseum.at.wvvw.salzburgrnuseum.at. <br> | ||
Herausgegeben von Erich Marx. Redaktion und Satz: Peter Laub. Gestaltung: Peter Laub nach Drahtzieher-Visuelle Kommunikation, Roberl Six. <br> | Herausgegeben von Erich Marx. Redaktion und Satz: Peter Laub. Gestaltung: Peter Laub nach Drahtzieher-Visuelle Kommunikation, Roberl Six. <br> | ||
Herstellung: Druckerei Roser Ges.m.b.H. & Co. KG, Salzburg<br> | Herstellung: Druckerei Roser Ges.m.b.H. & Co. KG, Salzburg<br> | ||
Genehmigung zur Veröffentlichung liegt vom Autor vom 24.03.2012 vor. </ref> | Genehmigung zur Veröffentlichung liegt vom Autor vom 24.03.2012 vor. </ref> --> <!-- 21.11.2012, Günther Kraemer --> | ||
Zwei Bahnen feinen Leinens sind zu einem Tuch zusammengenäht, das an einer der beiden Schmalseiten einen Bortenbesatz trägt. Es handelt sich dabei um die für Salzburg typische rot-weiß-rote Webborte, kombiniert mit jener einfachen Klöppelborte mit Fransen, den sogenannten „Salzburger Schlingen". Diese Form der textilen Kantenzier ist zu den ersten einfachen Klöppeltechniken, wenn nicht gar zu den Vorläufern der Klöppelspitze zu rechnen. Wegen der einfachen Musterung ist die Schlinge - ihr Name kommt vom Lauffadenpaar, das am Außenrand zu langen Schlingen gelegt und nach der Fertigstellung zu Fransen aufgeschnitten wird - gerne in zwei Farben, mit weißem und rotem Leinen- oder Baumwollzwirn gearbeitet. Ihre Herstellung begann im „Salzburgischenflachen Land" vermutlich schon nach 1600 und erreichte zwischen 1650 und 1750 ihre Blütezeit<ref>Entnommen aus: Monika Thonhausen: Das Salzburgische flache Land - eine textile Landschaft. Klöppelei, ein protoindustrieller Erwerbszweig der Frühen Neuzeit und im Konnex von Frauenerwerb und Heimatschutz nach 1900. Diss. Universität Salzburg. Salzburg 2006.</ref>. Diese textile Kantenzier lässt bereits eine relativ genaue Fixierung der Entstehungszeit und eine räumliche Zuordnung des Tuches als typisch „salzburgisch" zu. Das eingestickte Monogramm „J H" entschlüsselt die besondere Geschichte des Tuches. Sie ist in höchstem Maße ungewöhnlich, ja abenteuerlich und macht das Tuch zu einem Objekt von herausragender Besonderheit. | Zwei Bahnen feinen Leinens sind zu einem Tuch zusammengenäht, das an einer der beiden Schmalseiten einen Bortenbesatz trägt. Es handelt sich dabei um die für Salzburg typische rot-weiß-rote Webborte, kombiniert mit jener einfachen Klöppelborte mit Fransen, den sogenannten „Salzburger Schlingen". Diese Form der textilen Kantenzier ist zu den ersten einfachen Klöppeltechniken, wenn nicht gar zu den Vorläufern der Klöppelspitze zu rechnen. Wegen der einfachen Musterung ist die Schlinge - ihr Name kommt vom Lauffadenpaar, das am Außenrand zu langen Schlingen gelegt und nach der Fertigstellung zu Fransen aufgeschnitten wird - gerne in zwei Farben, mit weißem und rotem Leinen- oder Baumwollzwirn gearbeitet. Ihre Herstellung begann im „Salzburgischenflachen Land" vermutlich schon nach 1600 und erreichte zwischen 1650 und 1750 ihre Blütezeit<ref>Entnommen aus: Monika Thonhausen: Das Salzburgische flache Land - eine textile Landschaft. Klöppelei, ein protoindustrieller Erwerbszweig der Frühen Neuzeit und im Konnex von Frauenerwerb und Heimatschutz nach 1900. Diss. Universität Salzburg. Salzburg 2006.</ref>. Diese textile Kantenzier lässt bereits eine relativ genaue Fixierung der Entstehungszeit und eine räumliche Zuordnung des Tuches als typisch „salzburgisch" zu. Das eingestickte Monogramm „J H" entschlüsselt die besondere Geschichte des Tuches. Sie ist in höchstem Maße ungewöhnlich, ja abenteuerlich und macht das Tuch zu einem Objekt von herausragender Besonderheit. | ||
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Version vom 21. November 2012, 11:49 Uhr
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300 Jahre europäische Geschichte, 275 Jahre Salzburger Emigration
von Dr. Peter Hamann [1]
Zwei Bahnen feinen Leinens sind zu einem Tuch zusammengenäht, das an einer der beiden Schmalseiten einen Bortenbesatz trägt. Es handelt sich dabei um die für Salzburg typische rot-weiß-rote Webborte, kombiniert mit jener einfachen Klöppelborte mit Fransen, den sogenannten „Salzburger Schlingen". Diese Form der textilen Kantenzier ist zu den ersten einfachen Klöppeltechniken, wenn nicht gar zu den Vorläufern der Klöppelspitze zu rechnen. Wegen der einfachen Musterung ist die Schlinge - ihr Name kommt vom Lauffadenpaar, das am Außenrand zu langen Schlingen gelegt und nach der Fertigstellung zu Fransen aufgeschnitten wird - gerne in zwei Farben, mit weißem und rotem Leinen- oder Baumwollzwirn gearbeitet. Ihre Herstellung begann im „Salzburgischenflachen Land" vermutlich schon nach 1600 und erreichte zwischen 1650 und 1750 ihre Blütezeit[2]. Diese textile Kantenzier lässt bereits eine relativ genaue Fixierung der Entstehungszeit und eine räumliche Zuordnung des Tuches als typisch „salzburgisch" zu. Das eingestickte Monogramm „J H" entschlüsselt die besondere Geschichte des Tuches. Sie ist in höchstem Maße ungewöhnlich, ja abenteuerlich und macht das Tuch zu einem Objekt von herausragender Besonderheit.
Demzufolge stammt das Tuch aus dem damaligen Erzbistum Salzburg, genauer gesagt aus dem ehemaligen Pfleggericht St. Johann im Pongau, und hier aus der Gemeinde Urreiting (heute Haus Nr. 3). Hergestellt wurde es auf dem Gut Unterberg bei der langen Brücke", oberhalb der Salzach gelegen, aus dem von den Bauern selbst angebauten Flachs.
Die Initialen „J H" im oberen Teil der Leinwand lassen sich dem damaligen Eigentümer des Hofes,Johann (Hanns) Hillgruber, zuordnen. Er wurde am 23. Juni 1689 in St. Johann im Pongau getauft. 1707 wurde ihm der väterliche Hof übertragen. Am 21. Februar 1707 heiratete Johann in St. Johann Magdalena Sinnhuber, eine Bauerntochter vom Gut Klöckerlehen in Halldorf / St. Johann im Pongau. Das Jahr 1707 ist für Johann Hillgruber also ein entscheidender Einschnitt in seinem Leben gewesen. Es ist von daher am ehesten auch 1707 als Herstellungsjahr des Tuches anzunehmen. Vermutlich diente es als Schmuckdecke auf dem Ehebett. Der Erhaltungszustand des Stoffes ist äußerst gut, und Gebrauchsspuren größeren Ausmaßes sind lediglich am rot-weiß-roten Bortenbesatz feststellbar. Derart fein gewebtes Leinen gehörte zum Wertvollsten eines Bauerngutes. Es ist davon auszugehen, dass das Tuch schon bald in einer Truhe verwahrt worden ist. Die folgenden für die Familie Hillgruber turbulenten Jahrzehnte ließen das Schmuckgewebe in Vergessenheit geraten. Die Familie hatte andere Sorgen: Dem Ehepaar wurden zwölf Kinder geboren, finanzielle Schwierigkeiten kamen hinzu durch Schulden, hohe Steuer- und Abgabenlasten sowie die schwierige Bewirtschaftung des Hofes aufgrund jährlich wiederkehrender Salzachüberschwemmungen mit Verlust großer Acker- und Wiesenflächen.
Die Familie Hillgruber (in früherer Form Hildgramber o.a.) lässt sich bereits im 14. Jahrhundert im Pongau nachweisen, damals noch im Fritztal oberhalb der Gemeinde Hüttau, als Besitzer des namengebenden Gutes Hildgramslehen (heute Jausenstation Höllgrub), welches auf etwa 1100 m Höhe liegt.
Alle Angehörigen der Familie Hillgruber waren in der Mitte des 17. Jahrhunderts aus der Höhenlage mit ihren Unbequemlichkeiten ins Salzachtal gezogen und hatten sich Güter in Urreiting bei St. Johann gekauft. Die täglich zu bewältigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren es aber nicht allein, die die Familie um ihre Existenz fürchten ließen. Verstärkt griff der Erzbischof zu psychologischen Druckmitteln auch gegen die Familie Hillgruber, um den sich großflächig in seinem Land ausbreitenden Protestantismus niederzukämpfen. Er hatte mittlerweile aus Selbsterhaltungsgründen einen regelrechten Überwachungsstaat etabliert: Spitzel wurden ausgeschickt, durchsuchten unangemeldet die Bauernhäuser nach verbotenen protestantischen Büchern, forschten die Essgewohnheiten der Bewohner im Hinblick auf das Nichteinhalten der Fastenregeln und horchten Jugendliche nach dem Verhalten ihrer Eltern aus. Der Effekt aller Druckmittel des Erzbischofs bestand vor allem in einer Einschüchterung der Gebirgsbevölkerung, führte aber gleichzeitig zu einer Ausweitung der „Untergrundaktivitäten" (Kryptoprotestantismus) und zur Festigung des Luthertums. Der jahrhundertealte Konflikt der Bauern mit dem Erzbischof eskalierte am 31. Oktober 1731 mit der Unterzeichnung des Emigrationspatentes durch Erzbischof Firmian. Ab Georgitag (24. April) 1732 mussten alle Protestanten das Erzbistum verlassen, wobei ihnen nur drei Monate zur Regelung ihrer Angelegenheiten, vor allem zum Verkauf der Höfe, blieben.
Die Familie Hillgruber wanderte mit allen Mitgliedern aus bis auf einige Frauen, die in bekennende katholische Familien eingeheiratet hatten. Der Familienname Hillgruber ist in Salzburg seitdem erloschen. Der preußische König Friedrich Wil¬helm I. hatte etwa 16.000 Vertriebenen Asyl in preußisch Litauen (Ostpreußen) angeboten. Der Abmarsch auch der Familie des Johann Hillgruber dorthin vom Gut Unterberg „bei der langen Brücken" erfolgte mit kleinem Gepäck: ein Pferdewagen, beladen mit dem Notwendigsten, und Kiepen bzw. Umhängetaschen. Das Ehepaar wurde begleitet von elf Kindern. Die älteste Tochter war 22 Jahre alt, fünf Kinder unter zehn, das jüngste erst 15 Wochen. Auf dem Pferdewagen wurde die Truhe mitgeführt mit den wichtigsten Papieren, der Wäsche und auch dem Leinentuch. Der erste Abschnitt des Trecks führte über Regensburg und Passau nach Nürnberg, dann weiter über Jena nach Berlin und von dort nach Stettin. Hier teilte sich die Familie: Die Eltern mit zehn Kindern segelten von dort auf eigens für die Flüchtlinge gecharterten Booten nach Königsberg in Ostpreußen, der 18-jährige Sohn Simon nahm - samt der Truhe mit dem Tuch - den Landweg dorthin mit dem Pferdewagen durch Hinterpommern. Hier vereinte sich die Familie wieder und zog weiter nach Plynen (später umbenannt in Scharkabude, vor dem Zweiten Weltkrieg in Friedfelde) im Kreis Pilkallen/Ostpreußen an der litauischen Grenze. Hier teilte die preußische Regierung Johann Hillgruber einen Hof zu, den er als „königlicher Bauer" bewirtschaftete und der von seinen Nachkommen durchgehend bis 1945 beackert wurde.
Das Tuch fand in der beängstigend kargen und unwirtlichen, flachen, kühl-feuchten neuen Heimat wieder einen Ruheplatz. Einer praktischen Verwendung wurde es auch in Ostpreußen nicht zugeführt. Allerdings hatte sich seine Bedeutung für die Familie erheblich gesteigert, weil es jetzt eine der wenigen konkreten Erinnerungen an Salzburg darstellte. Das im Schrank verwahrte Tuch repräsentierte ein Stück unvergänglicher Heimat, war schützender und helfender Fetisch. Die Fremdheit der neuen Umgebung und der dort bereits siedelnden Bevölkerung mit fremder Sprache, anderen Schicksalen bzw. Erinnerungen bewirkte ein gesteigertes Bedürfnis nach Vertrautheit wenigstens im persönlichen Bereich. So verheirateten sich die Söhne und weiteren Nachkommen des Johann Hillgruber bis 1945 nur mit Salzburgern bzw. Salzburgstämmigen. Das Tuch spielte dabei auch eine symbolische und generationenverbindende Rolle, weil es bei der Hofübergabe jeweils der einheiratenden Frau mit den Worten: „Das ist das Salzburger Tuch", feierlich-formelhaft übergeben wurde, bevor es wieder in den Schutz eines Schrankes zurückkehrte. 223 Jahre verbrachte das Salzburger Tuch so in der Ruhe seines stabilen ostpreußischen Schrankes. Im Januar 1945 kam dann das vorläufige Ende der friedlichen Jahre.
Der Zweite Weltkrieg näherte sich seinem zerstörerischem Finale. Im Januar 1945 hatte die russische Armee Ostpreußen bereits eingenommen. Die Familie Hillgruber rüstete einen Leiterplanwagen, um darauf ihre Habe unterzubringen, darunter, wohl verwahrt in einer Truhe, auch das Salzburger Tuch und andere selbstgewebte Tücher des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Das Gespann mit zwei Pferden und fünf Personen sowie einer Tante und einer Cousine auf Fahrrädern brach am 21. Jänner 1945 zusammen mit einem Treck von insgesamt 100 Fuhrwerken auf, konnte auch das zugefrorene Frische Haff noch rechtzeitig vor Einsetzen von Tauwetter überqueren, bewegte sich dann weiter über die Frische Nehrung in Richtung Westen, überquerte auf Pontons die Weichsel, zog durch die kaschubische Schweiz in Pommern, dann in Ostseeküstennähe, schließlich mehr südwärts und endlich nördlich von Berlin wieder in nordwestliche Richtung. Am 19. März 1945 nahm diese Flucht in Plön in Schleswig- Holstein ein glückliches Ende. Vergleicht man die Routen der beiden Vertreibungen, so legten die Flüchtenden von 1945 einige hundert Kilometer auf fast dem gleichen Weg zurück, den Simon Hillgruber 1732 auch genommen hatte, jetzt allerdings in entgegengesetzter Richtung. Eine weitere Parallele ergibt sich daraus, dass sie sowohl nach Salzburg als auch nach Ostpreußen von einem Herrscher geholt wurden, der sich von ihnen eine Verbesserung der Wirtschaftskraft seines Landes erhoffte: dem Salzburger Erzbischof sollten sie im 11. bis 14 Jahrhundert den damals noch unbearbeiteten, von Wald überzogenen Pongau urbar machen, dem preußischen König die nordöstlichste Region seines Landes. Beide Male waren also Pioniere gefragt, die sich unter härtesten äußeren Bedingungen durchsetzen mussten. Für die Flucht 1945 und die Jahre danach gilt dies ebenfalls.
Mittlerweile wohnt Familie Hillgruber seit Jahrzehnten in einem ehemaligen Bauernhaus bei Plön. Der letzte noch in Ostpreußen geborene Hillgruber dieses Familienzweiges hat erstmals mit der Tradition gebrochen und eine Schleswig-Holsteinerin geheiratet. Das Salzburger Tuch aber wurde, wie in den Jahrhunderten vorher, sorgsam vor Staub und Ungeziefer geschützt in Folien verpackt und mit den anderen ostpreußischen Tüchern in einem Schrank gelagert. Jetzt haben sich Fritz, Traute und der Sohn Andreas Hillgruber großzügig und dankenswerterweise bereiterklärt, das Tuch als Leihgabe an seinen ursprünglichen Herkunftsort Salzburg zu geben. Diese (hoffentlich) letzte Reise erfolgte jedoch unter ungewohnt unspektakulären Umständen in einem Schlafwagen der Deutschen Bahn.
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Fußnoten
- ↑ Autor: Dr. Peter Hamann, 24326 Dörnick, Auf der Halbinsel; E-Mail: molo1.plessen@gmx.at
"Das Salzburger Tuch von 1707": Veröffentlichung des Salzburg-Museums vom Juli 2007/20.Jahrgang/Blatt 231.
Salzburg Museum, Mozartplatz 1, 5010 Salzburg. Tel.+43-662-62 08 08-0. E-mail: office@salzburgmuseum.at.wvvw.salzburgrnuseum.at.
Herausgegeben von Erich Marx. Redaktion und Satz: Peter Laub. Gestaltung: Peter Laub nach Drahtzieher-Visuelle Kommunikation, Roberl Six.
Herstellung: Druckerei Roser Ges.m.b.H. & Co. KG, Salzburg
Genehmigung zur Veröffentlichung liegt vom Autor vom 24.03.2012 vor. - ↑ Entnommen aus: Monika Thonhausen: Das Salzburgische flache Land - eine textile Landschaft. Klöppelei, ein protoindustrieller Erwerbszweig der Frühen Neuzeit und im Konnex von Frauenerwerb und Heimatschutz nach 1900. Diss. Universität Salzburg. Salzburg 2006.