Handbuch der praktischen Genealogie/346: Unterschied zwischen den Versionen

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waren.<ref>In den Gothaer Taschenbüchern erscheinen dagegen eine Anzahl unzweifelhaft ehemals unfreie Geschlechter als ehemalige Dynasten (Waldburg, Rechberg, Schönburg). Bei einigen Familien ist der Ursprung zweifelhaft und bestritten (Hunolstein).</ref> Weniger streng könnte wohl die Grenze zwischen diesen Dynastenhäusern und den kleinen Freien gewesen sein, so daß Übergänge durch Verarmung resp. durch Reichwerden denkbar wären; aber auch Bei-spiele dafür sind meines Wissens nicht überliefert, oder sind abzulehnen, wie die angeblich ärmliche Herkunft der Billunger.


Eine Verschärfung der Sonderstellung der aristokratischen Kaste vollzog sich seit dem 9. Jahrhundert dadurch, daß zahlreiche Familien kleiner freier Gutsbesitzer als Zinsbauern In die Abhängigkeit des dynastischen Adels oder der Klöster traten. Die Zahl der übrig gebliebenen freien Großbauern war infolgedessen bis Anfang des 12. Jahrhunderts außerordentlich zusammengeschmolzen; hier mehr, dort weniger. In Friesland allein kamen diese Bevölkerungselemente geradezu zu einer Art Landeshoheit. Sie hatten durch Aussterben der eingeborenen Dynastenstämme, die es hier wie überall gab, eine große Selbständigkeit gewonnen, die glücklich bis in das spätere Mittelalter herübergerettet wurde, gegen die Unterdrückungsversuche mächtiger Nachbarn sich mit Erfolg allmählich auf angebliche kaiserliche Privilegien berief und erst einer neuen Unterordnung unter fürstliche Gewalt wich, als aus dem Kreise der bäuerlichen Geschlechter selbst heraus im 15. und 16. Jahrhundert Häuptlingsfamilien sich emporhoben, von denen eine schließlich fürstlichen Rang und Gebietshoheit über Ostfriesland davontrug.
waren.<ref>In den Gothaer Taschenbüchern erscheinen dagegen eine Anzahl unzweifelhaft ehemals unfreie Geschlechter als ehemalige Dynasten (Waldburg, Rechberg, Schönburg). Bei einigen Familien ist der Ursprung zweifelhaft und bestritten (Hunolstein).</ref> Weniger streng könnte wohl die Grenze zwischen diesen Dynastenhäusern und den kleinen Freien gewesen sein, so daß Übergänge durch Verarmung resp. durch Reichwerden denkbar wären; aber auch Beispiele dafür sind meines Wissens nicht überliefert, oder sind abzulehnen, wie die angeblich ärmliche Herkunft der Billunger.


Während die Dynasten der vorstaufischen Periode verfassungsgeschichtlich lange wenig beachtet worden sind — wie überhaupt die an öffentlich-rechtlichen Bildungen sehr fruchtbare nachkarolingische Zeit bisher ein Stiefkind der rechtsgeschichtlichen Forschung war — haben sie für den Genealogen seit langem ein ungemein interessantes, wenn auch äußerst schwieriges Arbeitsgebiet gebildet. Bestimmte Rechtssätze über die Sonderlage der damaligen Aristokratie sind nicht überliefert oder nur indirekt und unsicher etwa aus der Formulierung der Friedensgesetze oder aus der Größe der königlichen Schenkungen herauszulesen. Die Adelsprädikate der Klasse (liber, ingenuus, nobilis und ähnlich) wurden auch für einfache freie Leute angewendet, sodaß die Klassifikationen der Zeugen in Urkunden zu Gruppen von liberi usw. nicht absolut brauchbar sind. Daß die Titel und damit die Amter Graf, Markgraf, die Stellung als Klostervogt, als Heerführer den Aristokraten vorbehalten waren, steht nirgends geschrieben, gehört vielmehr gerade zu den Erkenntnissen, die uns die rechtsgeschichtliche Forschung erst erringen muß, und das kann sie nur mit Hilfe der Genealogie.
{{NE}}Eine Verschärfung der Sonderstellung der aristokratischen Kaste vollzog sich seit dem 9. Jahrhundert dadurch, daß zahlreiche Familien kleiner freier Gutsbesitzer als Zinsbauern in die Abhängigkeit des dynastischen Adels oder der Klöster traten. Die Zahl der übrig gebliebenen freien Großbauern war infolgedessen bis Anfang des 12. Jahrhunderts außerordentlich zusammengeschmolzen; hier mehr, dort weniger. In Friesland allein kamen diese Bevölkerungselemente geradezu zu einer Art Landeshoheit. Sie hatten durch Aussterben der eingeborenen Dynastenstämme, die es hier wie überall gab, eine große Selbständigkeit gewonnen, die glücklich bis in das spätere Mittelalter herübergerettet wurde, gegen die Unterdrückungsversuche mächtiger Nachbarn sich mit Erfolg allmählich auf angebliche kaiserliche Privilegien berief und erst einer neuen Unterordnung unter fürstliche Gewalt wich, als aus dem Kreise der bäuerlichen Geschlechter selbst heraus im 15. und 16. Jahrhundert Häuptlingsfamilien sich emporhoben, von denen eine schließlich fürstlichen Rang und Gebietshoheit über Ostfriesland davontrug.


Es ist in diesem Punkte wohl noch sehr viel  zu tun.<ref>Vor allem müßten und könnten wohl endlich einmal die deutschen Urkunden des Mittelalters für ganz Deutschland kritisch herausgegeben werden. Das gilt ganz besonders für Bayern und für den größten Teil des Rheinlandes. Es ist doch traurig, daß man z. B. für die Kaiserurkunden Kaiser Friedrichs II. auf eine ältere französische Publikation angewiesen ist.</ref>  Immerhin hat <noinclude>
{{NE}}Während die Dynasten der vorstaufischen Periode verfassungsgeschichtlich lange wenig beachtet worden sind — wie überhaupt die an öffentlich-rechtlichen Bildungen sehr fruchtbare nachkarolingische Zeit bisher ein Stiefkind der rechtsgeschichtlichen Forschung war — haben sie für den Genealogen seit langem ein ungemein interessantes, wenn auch äußerst schwieriges Arbeitsgebiet gebildet. Bestimmte Rechtssätze über die Sonderlage der damaligen Aristokratie sind nicht überliefert oder nur indirekt und unsicher etwa aus der Formulierung der Friedensgesetze oder aus der Größe der königlichen Schenkungen herauszulesen. Die Adelsprädikate der Klasse (liber, ingenuus, nobilis und ähnlich) wurden auch für einfache freie Leute angewendet, sodaß die Klassifikationen der Zeugen in Urkunden zu Gruppen von liberi usw. nicht absolut brauchbar sind. Daß die Titel und damit die Ämter Graf, Markgraf, die Stellung als Klostervogt, als Heerführer den Aristokraten vorbehalten waren, steht nirgends geschrieben, gehört vielmehr gerade zu den Erkenntnissen, die uns die rechtsgeschichtliche Forschung erst erringen muß, und das kann sie nur mit Hilfe der Genealogie.
 
{{NE}}Es ist in diesem Punkte wohl noch sehr viel  zu tun.<ref>Vor allem müßten und könnten wohl endlich einmal die deutschen Urkunden des Mittelalters für ganz Deutschland kritisch herausgegeben werden. Das gilt ganz besonders für Bayern und für den größten Teil des Rheinlandes. Es ist doch traurig, daß man z. B. für die Kaiserurkunden Kaiser Friedrichs II. auf eine ältere französische Publikation angewiesen ist.</ref>  Immerhin hat <noinclude>


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Aktuelle Version vom 21. September 2012, 12:31 Uhr

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Handbuch der praktischen Genealogie
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waren.[1] Weniger streng könnte wohl die Grenze zwischen diesen Dynastenhäusern und den kleinen Freien gewesen sein, so daß Übergänge durch Verarmung resp. durch Reichwerden denkbar wären; aber auch Beispiele dafür sind meines Wissens nicht überliefert, oder sind abzulehnen, wie die angeblich ärmliche Herkunft der Billunger.

      Eine Verschärfung der Sonderstellung der aristokratischen Kaste vollzog sich seit dem 9. Jahrhundert dadurch, daß zahlreiche Familien kleiner freier Gutsbesitzer als Zinsbauern in die Abhängigkeit des dynastischen Adels oder der Klöster traten. Die Zahl der übrig gebliebenen freien Großbauern war infolgedessen bis Anfang des 12. Jahrhunderts außerordentlich zusammengeschmolzen; hier mehr, dort weniger. In Friesland allein kamen diese Bevölkerungselemente geradezu zu einer Art Landeshoheit. Sie hatten durch Aussterben der eingeborenen Dynastenstämme, die es hier wie überall gab, eine große Selbständigkeit gewonnen, die glücklich bis in das spätere Mittelalter herübergerettet wurde, gegen die Unterdrückungsversuche mächtiger Nachbarn sich mit Erfolg allmählich auf angebliche kaiserliche Privilegien berief und erst einer neuen Unterordnung unter fürstliche Gewalt wich, als aus dem Kreise der bäuerlichen Geschlechter selbst heraus im 15. und 16. Jahrhundert Häuptlingsfamilien sich emporhoben, von denen eine schließlich fürstlichen Rang und Gebietshoheit über Ostfriesland davontrug.

      Während die Dynasten der vorstaufischen Periode verfassungsgeschichtlich lange wenig beachtet worden sind — wie überhaupt die an öffentlich-rechtlichen Bildungen sehr fruchtbare nachkarolingische Zeit bisher ein Stiefkind der rechtsgeschichtlichen Forschung war — haben sie für den Genealogen seit langem ein ungemein interessantes, wenn auch äußerst schwieriges Arbeitsgebiet gebildet. Bestimmte Rechtssätze über die Sonderlage der damaligen Aristokratie sind nicht überliefert oder nur indirekt und unsicher etwa aus der Formulierung der Friedensgesetze oder aus der Größe der königlichen Schenkungen herauszulesen. Die Adelsprädikate der Klasse (liber, ingenuus, nobilis und ähnlich) wurden auch für einfache freie Leute angewendet, sodaß die Klassifikationen der Zeugen in Urkunden zu Gruppen von liberi usw. nicht absolut brauchbar sind. Daß die Titel und damit die Ämter Graf, Markgraf, die Stellung als Klostervogt, als Heerführer den Aristokraten vorbehalten waren, steht nirgends geschrieben, gehört vielmehr gerade zu den Erkenntnissen, die uns die rechtsgeschichtliche Forschung erst erringen muß, und das kann sie nur mit Hilfe der Genealogie.

      Es ist in diesem Punkte wohl noch sehr viel zu tun.[2] Immerhin hat


  1. In den Gothaer Taschenbüchern erscheinen dagegen eine Anzahl unzweifelhaft ehemals unfreie Geschlechter als ehemalige Dynasten (Waldburg, Rechberg, Schönburg). Bei einigen Familien ist der Ursprung zweifelhaft und bestritten (Hunolstein).
  2. Vor allem müßten und könnten wohl endlich einmal die deutschen Urkunden des Mittelalters für ganz Deutschland kritisch herausgegeben werden. Das gilt ganz besonders für Bayern und für den größten Teil des Rheinlandes. Es ist doch traurig, daß man z. B. für die Kaiserurkunden Kaiser Friedrichs II. auf eine ältere französische Publikation angewiesen ist.