Singender Strand: Unterschied zwischen den Versionen
(Die Seite wurde neu angelegt: „Singender Strand Von Gerhard Krosien Barfuß schlendert der grauhaarige „Ehemalige“ - gebürtiger Memeler Bowke und jetzt als Heimwehtourist bloß Nehrungs...“) |
(kat) |
||
(Eine dazwischenliegende Version von einem anderen Benutzer wird nicht angezeigt) | |||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
{{Familienforschung Memelland}} | |||
[[Schmelz_(Kr.Memel)#Erzählungen|<<<Erzählungen aus Schmelz]] | |||
Singender Strand | Singender Strand | ||
Zeile 23: | Zeile 29: | ||
„Willst du hier Wurzeln schlagen?“, wird der Mann aus seinen Erinnerungen gerissen. Für ihn ist es wie ein Erwachen aus einem tiefen, schönen Traum. Bis zur Holztreppe am Strandzugang singt der Sand weiter - sein eintöniges, zeitloses Lied. Vermutlich wird er hier immer so singen! Beim nächsten Besuch wird der dann noch älter Gewordene den Strand auf diesen Gesang hin bestimmt wieder testen! | „Willst du hier Wurzeln schlagen?“, wird der Mann aus seinen Erinnerungen gerissen. Für ihn ist es wie ein Erwachen aus einem tiefen, schönen Traum. Bis zur Holztreppe am Strandzugang singt der Sand weiter - sein eintöniges, zeitloses Lied. Vermutlich wird er hier immer so singen! Beim nächsten Besuch wird der dann noch älter Gewordene den Strand auf diesen Gesang hin bestimmt wieder testen! | ||
[[Kategorie:Memelland]] |
Aktuelle Version vom 26. August 2009, 23:02 Uhr
Bitte beachten Sie auch unsere Datensammlung aller bisher erfassten Personen aus dem Memelland |
Singender Strand
Von Gerhard Krosien
Barfuß schlendert der grauhaarige „Ehemalige“ - gebürtiger Memeler Bowke und jetzt als Heimwehtourist bloß Nehrungsbesucher - am Ostsee-Ufer bei Nidden entlang. Hin und wieder überspülen heranrollende flache Wellen seine nackten Füße - kühl, erfrischend, leise murmelnd.
Nach ausgedehntem Uferspaziergang geht`s eine Düne hinauf wieder zurück zum Strandeinstieg. Durch weichen, trockenen, heißen, gelblichweißen Mehlsand. Das Gehen hier fällt schwer. Die Füße sinken bis zum Knöchel ein und fangen nach kurzer Zeit von ganz allein durch den Sand zu gleiten - zu schurren - an.
Da, was ist das? Von unten, vom Sand her ein Laut: quietsch, quietsch, quietsch, quietsch! Bei jedem Gleiten der Füße durch den Sand! Er ist baff. Der Strand tönt?
Seine Begleitung – die Ehefrau - hat das Geräusch ebenfalls bemerkt: „Was ist das?“. Der „Ehemalige“ bleibt stehen und lauscht. Die Begleiterin auch. Stille! Beim Weitergleiten durch den losen Sand ist das Quietschen aber wieder da.
Beide bleiben wieder stehen und machen nachdenkliche Gesichter. „Was kann das bloß sein?“ Plötzlich ein verträumtes Lächeln des „Ehemaligen“. Bilder aus unbeschwerten Kindertagen sind durch das Geräusch unvermutet bei ihm aus der Erinnerung aufgetaucht: Mit Opas schwarzem Kahn ist er vor langer, langer Zeit zusammen mit den Eltern, den Geschwistern und Freunden von Schmelz aus übers Haff gerudert worden. Alle haben im Zockeltrab – die Kinder barfuß - die Nehrung auf sandigem, moosbewachsenem Pfad durchquert - von Latschen, den Kujelkiefern, und Gebüsch zu beiden Seiten des Wegs begleitet, von intensivem Harzduft umgeben. Irgendwo dort ist eine hohe leuchtende Düne am Ende des Pfades erreicht. Mit Geächze und Gestöhne geht`s den fußspurenübersäten Trampelpfad hinauf, durch heißen, nachrutschenden Sand - zwei Schritte aufwärts, einen Schritt abwärts. Links und rechts ein paar Büschel Strandhafer, ein paar vertrocknete braune Binsenhalme im glühendheißen Sand.
Endlich oben auf der Düne! Ein kurzer Blick zurück: Endlos lang, dieser Weg - hell und schlängelnd zwischen dem Blaugrün der Latschen. Dann der Blick nach vorn: Die Ostsee! Diese Wellen! Diese Brandung! Dieses Rauschen! Diese frische Brise! Dieser Meeresduft! So schnell die kurzen Beine tragen, geht`s für den Bowke die Düne hinunter durch harten, pieksenden Strandhafer - hin zum Wasser. Freudige Begrüßung eines alten Freundes, der Ostsee. Erste Abkühlung im anrollenden Wasser, ruhiger werden.
Schnell ist ein Strandplätzchen für die gesamte „Reisegesellschaft“ gefunden. Rasch ausgezogen, nur in Badehose. Und dann durch den heißen Sand geschurrt. Ob er noch was sagt, dieser Strand? Ja, er antwortet noch, und zwar quietschend. Alles in bester Ordnung! Alles wie beim letzten Mal!
In seiner Erinnerung sieht sich der Grauhaarige als sieben- oder achtjährigen Blondschopf in Badehose, die kleinen Füße ostseewasserumspült - gerade wie vorhin. Und dann hört er wie damals - jetzt mit über 60jährigen Ohren genau das gleiche Quietschen im Sand! Wie damals klingt es plötzlich wieder! Und dieser Ton war doch so lange irgendwo in ihm „vergraben“. Ein Wunder?!? Nicht auf Spiekeroog, nicht auf Langeoog, nicht auf Juist hat er diesen Ton dort am Strand vernommen. Aber hier nun wieder, nach so langer Zeit!
Doch da drängelt sich noch mehr in seine Erinnerung: Seine längst verstorbene Mutter! Jung, dunkelhaarig, sonnengebräunt, im Kreise von Freunden und anderen Kindern dort im Sand. Sie ergreift eine große Flasche Kirschsaft und eine mit Rhabarbersaft - beide wasserverdünnt und zugekorkt. Sie wickelt jeweils ein nasses Tuch um die Flaschen und steckt beide so umwickelt in den heißen Strandsand. Mit dem angenehm kühlen Saftwasser löschen wir Kinder den Durst. Der Bowke von einst spürt die Labsal noch heute auf seinen Lippen. ...
„Willst du hier Wurzeln schlagen?“, wird der Mann aus seinen Erinnerungen gerissen. Für ihn ist es wie ein Erwachen aus einem tiefen, schönen Traum. Bis zur Holztreppe am Strandzugang singt der Sand weiter - sein eintöniges, zeitloses Lied. Vermutlich wird er hier immer so singen! Beim nächsten Besuch wird der dann noch älter Gewordene den Strand auf diesen Gesang hin bestimmt wieder testen!