Jena/Entwicklung 1889-1912: Unterschied zwischen den Versionen

aus GenWiki, dem genealogischen Lexikon zum Mitmachen.
Zur Navigation springen Zur Suche springen
K (Verlinkung)
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
 
(3 dazwischenliegende Versionen von 2 Benutzern werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
Transcribed vom Adressbuch Jena 1927/1928 Erster Teil Seite 1
Aus dem [[Jena/Adressbuch 1927-28|Adressbuch Jena 1927/1928]] (Erster Teil, Seite 1-3)


'''Jenas Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Singer  ( 1889 – 1912 )'''
'''Jenas Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Singer  ( 1889 – 1912 )'''
Zeile 29: Zeile 29:
Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die  ''Rosenbrauerei''; der ''Maulesel '' wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem  ''Klaatsch'' und dem ''Dorfteufel'' vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert
Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die  ''Rosenbrauerei''; der ''Maulesel '' wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem  ''Klaatsch'' und dem ''Dorfteufel'' vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert


Seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der ''Rosengesellschaft'' ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere
Seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der ''Rosengesellschaft'' ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere Zeit im Prinzessinnengarten-Schlößchen weilte und hier wie auch in Weimar sich gern von Jeneser Professoren umgeben sah.


'''[[Jena/Entwicklung 1889-1912|Seite 1 ]] -> [[Jena/Entwicklung 1889-1912-2|Seite 2 ]] -> [[Jena/Entwicklung 1889-1912-3|Seite 3]]'''
In enger Beziehung zur Universität und doch unabhängig von ihr hatte sich die Optische Werkstätte von Carl Zeiß entfaltet. Der Wendepunkt in ihrer Entwicklung war das Jahr 1866, als Ernst Abbe eintrat. Zwanzig Jahre lang hatte Carl Zeiß Mikroskope hergestellt, so gut und so schlecht, wie sie eben damals angefertigt wurden; aber er nahm die Mängel nicht als etwas Unvermeidliches hin, sondern trachtete danach, sie nicht durch Probieren, Barrieren, Modifizieren zu verbessern, sondern ihre Herstellung auf wissenschaftliche Berechnung zu gründen. In diesem Gedanken fanden sich Zeiß und Abbe zusammen. Anfängliche Mißerfolge schienen der Behauptung der Konkurrenz recht zu geben, daß Mikroskope auf Grund der Theorie nicht gebaut werden könnten, ja sie betonten schadenfroh bei der Empfehlung ihrer Erzeugnisse, daß sie sie nicht nach Jenaer Art hergestellt hatten. Bald aber hatten Abbe und Zeiß des Rätsels Lösung gefunden, und 1886 wurde bei zirka 300 Arbeitern das zehntausendste Mikroskope fabriziert!
Bedingt wurde dieser einzigartige Aufschwung auch mit dadurch, daß 1882 Otto Schott aus Witten nach Jena übersiedelte und unter Mitwirkung von Carl Zeiß und seinem Sohne Roderich Zeiß und Dank einer bedeutenden Beihilfe der preußischen Regierung 1884 das „Glastechnische Laboratorium“ eröffnen konnte.
 
Durch das Zusammenarbeiten der drei Männer Zeiß, Abbe und Schott beginnt die Reifezeit, das Emporwachsen zum Großbetrieb, der sich nicht an der Mikroskopherstellung genügen läßt, sondern die gesamte praktische Optik umspannt.
1875 wurde Ernst Abbe, 1881 Roderich Zeiß Teilhaber ; als aber am 3. Dezember 1888 Carl Zeiß starb und 1889 Roderich Zeiß zurücktrat, gründete Ernst Abbe im Mai 1889 die „Carl-Zeiß-Stiftung zu Jena“ und machte damit dieses Jahr zu einem zweiten bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Firma.
 
Damit freilich gewann Jena, das bisher ein beschauliches Gelehrtennest gewesen war, eine andere Physiognomie : bei einer Gesamtbevölkerung von 14 000 Menschen wollen freilich  500 Arbeiter noch nicht soviel besagen wie 500 Studenten; Jena verdiente an jenen auch höchstens eine halbe Million Mark im Jahre 1889.
 
Aber es bahnte sich doch hier eine neue Macht die Wege, die damals freilich durch das Sozialistengesetz von 1878 im Schach gehalten wurde, sich aber doch schon 1872 dazu verstanden hatte, in Wilhelm Liebknecht einen eigenen Kandidaten für Jena aufzustellen, und die es gern und wiederholt betonte, daß Karl Marx 1811 in Jena zum Doktor promoviert worden war. Und dazu kam, daß Jena außer dem optischen und glastechnischen Laboratorium über wenige andere Fabriken nur verfügte.
Denn industriell war Jena nur wenig entwickelt: am bedeutendsten war die Weidigsche Klavierfabrik, die 1843 in Heichelheim gegründet worden war, bald aber nach Jena verlegt wurde, wo sie zuerst in der Lödder- und 1857 in der Quergasse ein Unterkommen gefunden hatte, bis sie 1883 nach der Nollendorfer Vorstadt übersiedelte.
Daneben durfte die 1810 gegründete Seifenfabrik von Triebitz Anspruch auf Beachtung erheben.
1826 hatte der Maurermeister Timter die Ratsziegelei erworben, die 1859 in den Besitz von Bernhard Böhme überging ; daneben schwang sich 1859 – 1873 die Timtersche Ofenfabrik zu großem Ansehen auf.
1868 folgten die Hartungschen und Grunerschen Sägewerke.
1870 gründete Krüger die Magdelstiegelziegelei
1871 Hugo Boehme eine Zementfabrik, die freilich 1883 in eine Blechemballagenfabrik umgewandelt wurde.
Damit haben wir aber auch alles, was an Fabriken im damaligen Jena bestand, denn die Zinngießerei von Franz Hering und die Kupferschmiede von Pflug genossen zwar weiterhin einen berechtigt guten Ruf, aber weder bei ihren Arbeitern noch denen der anderen Betriebe konnten die Zeiß-Arbeiter wesentlichen Rückhalt finden.
Freilich dürfen wir in diesem Zusammenhänge nicht übersetzen, daß sich auch in Jenas unmittelbarer Umgebung industrielle Unternehmungen entwickelt hatten.
So bestanden in Wenigenjena die Kammgarnfabrik von Eduard Weimar ( 1820-1890), wo auch
1864 die erste Dampfmaschine aufgestellt wurde, die Lüdkesche Fabrik für Studentenrequisiten und die
Glasersche Klavierfabrik,
in Burgau war 1881 die Frommoltsche Holzstoffabrik und in Göschwitz 1886 die Portland Zementfabrik errichtet worden, aber alle diese Unternehmungen hielten  sich zunächst doch in ganz bescheidenen Grenzen.
Weit bekannter waren dagegen Jenas Verlage, von denen der Neuenhahnsche der älteste war,
daneben sich seit 1850 der Costenblesche, seit 1853 der Verlag  und das Antiquariat von Friedrich Strobel und namentlich seit 1878 als Maukes Nachfolger der Verlag von Gustav Fischer neben Frommanns und Junkelmanns Verlag Jena zu einem buchhändlerisch beachtenswerten Städtchens gemacht hatten.
 
Gewiß hatte sich auch Jena seit dem Anschluß an das Eisenbahnnetz entwickelt; aber wenn es 1884 noch die drittgrößte Stadt nach Weimar und Eisenach  im Großherzogtum gewesen war, so hatte Apolda es schon im Jahre 1880 überflügelt; jenes hatte sich in diesem Zeitraume nur verdoppelt, dieses aber verfünffacht!
 
Was aber immer zu Jenas Gunsten gesprochen hatte, was seinerzeits sogar ausschlaggebend gewesen war, daß die Universität hierher verlegt wurde, waren Jenas weithin bekannte günstige Gesundheitsverhältnisse : Jenas Sterblichkeit hielt sich in den Jahren 1887 – 1889 auf 15.91; 16.70; und 16.11 pro Tausend, und alle anderen thüringischen Städte wiesen eine z.T. sogar sehr wesentlich höhere Sterblichkeitsziffer auf.
 
Verhältnismäßig gering war die Zahl der Bürger: noch 1882 waren 10.7 % der Bewohner Bürger, 1889 besaßen nur noch 8.3 % das Bürgerrecht. Mitbestimmend mag hierbei gewesen sein, daß seit dem Sportelgesetz vom 5. Januar 1887 die Erwerbung des Bürgerrechts an die Gebühr von 15 M. gebunden war, und gar mancher wird diese Abgabe gescheut haben. Mit dem Wachsen der Bevölkerung hatte nun aber die Zunahme an Häusern, namentlich an Kleinwohnungen , in keiner Weise Schritt gehalten, und schon 1886 hatte deshalb der Gemeindevorstand die Bildung einer Baugesellschaft ins Werk gesetzt. Drei Jahre dauerte es, bis die Satzungen ausgearbeitet waren und ein Aufruf zur Anteilszeichnung beabsichtigt werden konnte; vor allem bildeten die ungewöhnlich hohen Baupreise ein solches Hindernis, daß man sich zunächst überhaupt keinerlei Rentabilität zu versprechen vermochte. Wie dringend nötig Abhilfe war, ersieht man daraus, daß bei 516 Wohnungen, die weniger als 100 M. kosteten, in 342 die Küche fehlte und 44 als ungesund bezeichnet werden mußten! Daß man im Jahre 1887  11 und 1888  15 Neubauten errichtet hatte, linderte zwar das Übel etwas, vermochte es aber nicht annähernd zu beheben.
 
Recht gut entwickelt hatten sich in Jena die Schulen. Als älteste reichte die Bürgerschule in ihren Anfängen bis in die Reformationszeit, ja sogar noch weiter zurück. Die Schülerzahl war natürlich gewachsen; man stand daher schon 1887 vor der schwerwiegenden Frage, ein neues Schulhaus bauen zu müssen, und zwar legte man dem Ministerium den Plan für ein Schulhaus vor, in dem man 26 Klassen hätte unterbringen können. Infolge allerlei Bedenken entschloß man sich aber 1889, das Haus kleiner zu bauen, so daß nur 18 Klassen Platz gefunden hätten, während man die alte Bürgerschule hinter der Kirche mit 8 Klassen beizubehalten sich entschloß. Für die höhere Ausbildung der Knaben sorgte das Pfeiffersche Institut, das 1832  von dem Schweizer Dr.Herzog hier errichtet worden und seit 1882 unter dem Direktor Dr.Pfeiffer mächtig emporgeblüht war. Daneben bestand die Stoysche Erziehungsanstalt seit 1880 und seit 1876 das Gymnasium, das bis 1889 151 Abiturienten entlassen hatte.
Für die höhere Ausbildung der Mädchen bestanden die Schmidtsche und Schülersche Schulen, die in Fräulein Strohschein und Ludewig Leiterinnen gefunden hatten, die in ihrer Vorbildung den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Die Stadt erwog ernstlich den Plan, durch Übernahme der einen oder beider Privatschulen eine städtische höhere Mädchenschule zu gründen, schon im Jahre 1888, kam aber zu keinem Entschluß. Im Jahre 1858 war eine städtische gewerbliche Fortbildungsschule ins Leben gerufen worden, die sich unter der Leitung von Flex und seit 1863 von Papst erfreulich entwickelt hatte.
 
Für die Belehrung und Unterhaltung der Bevölkerung hatte Karl Köbler auf seinem Engelgrundstück 1873 sein Sommertheater gebaut, in welchem „Martin Luther“ seine Uraufführung erlebte und alljährlich die akademischen Konzerte ein musikliebendes und verständiges Publikum den bedeutendsten Künstlern lauschen ließen.
Nehmen wir dazu, daß Jena seit 1879 ein Oberlandesgericht beherbergte, daß es Sitz des Amtsgerichtes, Standort des Militärs war, so wird man verstehen, daß alljährlich ein beträchtlicher Fremdenzustrom die Stadt passierte. Im Jahre 1888 belief sich deren Zahl auf  22 143 Menschen, und daran hatten die Bahnen sicherlich das Hauptverdienst.
An die Bahn von Nord – Süd waren waren ja auch schon die Unstrut- und die Halle – Bebra-Bahn, aber auch Schwarza – Blankenburg,  Pößneck – Judewein,
Pößneck – Oppurg  und  Probstzella – Eichicht und an die Ost – West-Bahn  Gera – Glauchau, Gera – Eichicht  und Weimar – Berka angeschlossen.
Zwar besorgten seit 1866 die Trautmüllern und die alten Gießler noch immer regelmäßig ihre Botengänge, aber ihre Verdienstmöglichkeiten verminderten sich von Monat zu Monat. Beide Bahnen waren Privatunternehmen, das einzige Moment, das sich schädigend, namentlich auf die Höhe der Frachtsätze, auswirkte.
Mit Apolda vermittelte die Botenfrau Charlotte Thiele seit 1857 einen regelmäigen Verkehr. Das Projekt, eine Bahn zwischen Apolda und Jena herzustellen, „ hat ein lebhaftes Interesse in unserer Stadt kaum zu erwecken vermocht“.
Störend empfand man in Jena immerhin, daß es keinen Fernsprechverkehr gab. Vereinzelte  Betriebe, Zeiß, Pohle, Fischer , Böhme und die Stadtverwaltung hatten sich interne Anlagen geschaffen; als aber z.B. die Stadtverwaltung ihre Anlage auch dem Publikum zur Verfügung stellte, legte die Erfurter Oberpostdirektion auf Grund des Art.48 der Reichsverfassung Einspruch ein, der dann freilich im Vergleichswege zurückgezogen wurde.
Um den Fremden Jena aber noch lockender zu gestalten, hatte der Baurat Karl Botz nicht geruht, ehe er nicht eine große Zahl von Verschönerungen der Umgegend unserer Stadt durchgeführt hatte: die Bewaldung des Tatzend war seine erste Tat, es erfolgte der Bau von Zugangswegen zum Forst und zum Tatzend, die Anlage des Weges durch den Münchenrodaer Grund zum Forste; die Bewaldung an der Nordseite der Kernberge, der Bau der Horizontale bis zur Diebeskrippe, die Wege am Jenzig, an den Sonnenbergen, zur Kunitzburg, und endlich die Bepflanzung und Wegeanlage im Mühltale. Mit einer Großzügigkeit und verständnisvollem Geschmack hat sich Botz, der seit 1846 als Chausseebauinspektor in Jena wohnte, dieser seiner Lieblingtätigkeit gewidmet, daß sein Tod 1890 allgemein auf das allerlebhafteste bedauert wurde.
 
An der Spitze dieser aufblühenden und mannigfach interessanten Stadt stand nach Eucken-Addenhausens Abgang der Bürgermeister Dr. Thieler, dessen Geschäfte im Behinderungsfalle der stellv. Bürgermeister Eduard Polz führte.
Ein herzliches Einvernehmen herrschte mit dem Gemeinderate, dessen Vorsitzender,Oberlandesgerichtsrat Dr. Krieger, die Sitzungen mit Geschick und Würde zu leiten verstand. Der Gemeinderat hatte sich 1854 eine Geschäftsordnung gegeben, die 1862 erweitert worden war. Bei dem ruhigen Verlaufe der Sitzungen und dem ungestörten Geschäftsgange hatten sie sich als völlig ausreichend die Jahrzehnte hindurch erwiesen. Gewissenhafte und arbeitsfreudige Beamte standen dem Bürgermeister hilfreich zur Seite, namentlich der Stadtschreiber Robert Bergmann, der seit 1877 in städtischen Diensten stand und 1882 anstatt des Stadtschreibers Buschmann amtierte, welcher von 1851 an diesen Posten verwaltet hatte und 1910 starb.
 
1888 hatte man in Cosack einen recht fähigen Stadtbaudirektor angestellt, doch machte sich seitens der Jenaer Architekten schon bald eine gewisse Gegnerschaft bemerkbar, weil dem Stadtbaudirektor die Entwürfe und Ausführung von Bauten überlassen wurden, an denen bisher jene mitgearbeitet hatten.
Nach der Gemeindeordnung von 1869, die sich in vielen Punkten als recht unpraktisch erwiesen hatte, und an deren Revision Regierung und Landtag arbeiteten, waren die Städte die Inhaber der Polizeigewalt. Demgemäß hatte man 1887 das Meldewesen in Jena umgestaltet, hatte im Anschluß an die beiden Hochwasser des Jahres 1888 mit Saalfeld und Saalburg einen Hochwassernachrichtendienst eingerichtet, hatte man den neuen Friedhof geschaffen, vor allem aber am 22.Juni 1881 den Stadtbauplan genehmigt und am 31.August 1887 die Kanalisation beschlossen. Beide Beschlüsse wirkten sich in der Folgezeit erst richtig aus und führten Streitigkeiten herbei, wie sie das vergangene Jahrzehnt nicht für möglich gehalten hätte. Der Stadtbauplan war von einem Ausschuß bearbeitet worden, der aus den Herrren Timler, Botz , Spittel, Uhlitzsch und Hartung bestand; er war 1873 von Regierungsbaumeister Wilckens durchgearbeitet und endlich am 12.September 1882 vom Staatsministerium genehmigt worden; dreizehn Jahre lang hatte man daran gearbeitet. Aber da hier ebenso wie bei der Kanalisation der Einzelne zugunsten der Allgemeinheit geschädigt wurde, verstehen sich von selbst die Abneigung und das Aufbegehren gegen den Stadtbauplan und Kanalisation von seiten weiter Kreise der Bürgerschaft.
 
[[Kategorie:Jena]]

Aktuelle Version vom 2. April 2012, 11:48 Uhr

Aus dem Adressbuch Jena 1927/1928 (Erster Teil, Seite 1-3)

Jenas Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Singer ( 1889 – 1912 )

Von Dr. Herbert Koch, Jena.


Bis in das neunte Jahrzehnt des letztvergangenen Jahrhunderts beruhte die Bedeutung der Stadt Jena fast ausschließlich auf ihre Universität, die freilich gerade damals eine nicht unbedenkliche Krise durch machte oder doch mit knapper Not überstanden hatte.

Zunächst hatte die Schlacht bei Jena auch der Hochschule einen empfindlichen Schlag versetzt, schon aus dem Grunde, daß das ganze Land in seiner Finanzkraft schwer geschädigt war und der Universität nur im Verhältnis zu der Gesamtleistung Zuschüsse zukommen lassen konnte. Aber so ungünstig auch alles liegen mochte : die Regierung ließ die Akademie nicht fallen; im Gegenteil: die Dozentengehälter wurden erhöht, neue Seminare gegründet, die Bibliothek vergrößert.

1826 übernahmen auch Altenburg und Meiningen die Mitsorge für die Universität , aber die Studentenzahl ging von 609 im Jahre 1830 auf 385 im Jahre 1850 zurück. Zwei Gründe haben dies hauptsächlich bewirkt: erstens lagen die Nachbaruniversitäten an Eisenbahnlinien, und zweitens konnten dort die Studenten gleich ihrer Militärpflicht genügen, während erst 1867 das Bataillon nach Jena verlegt wurde. Ein bemerkenswerter Aufschwung trat erst ein, als 1874 die Saalbahn und 1876 die Weimar-Geraer Bahn eröffnet wurden.

Im Jahre 1880 besuchen 523, 1889 593 Studenten die Jenaer Universität. Die Erhalterstaaten ließen in diesen Jahrzehnten nichts unversucht, durch Berufung hervorragender Gelehrter das Studium in Jena den Studenten so verlockend wie möglich zu gestalten, und eine große Reihe bedeutendster Köpfe bildeten damals den Lehrkörper.

Unter den Theologen ragten Karl v. Hase , Wilibald Grimm, Adolf Hilgenfeld, Adelbert Lipsius hervor. Die medizinische Fakultät durfte stolz sein auf Franz v. Ried, der als einer der ersten die Resektionen in Deutschland ausgeführt hat, und neben dem die Anatomen Wilhem Müller und Karl v. Bardeleben, der Internist Moritz Seidel, der Gynokologe Bernhard Schulze, die Psychiater Theodor Zichen und Otto Binswanger als Lehrer und Gelehrte weithin den besten Ruf genossen.

In der juristischen Fakultät finden wir Namen wie Wilhelm Leist, Karl Kniep, Julius Pierstorff, August Thon, Eduard Rosenthal, und weiterhin lehrten hier der Orientalist Gustav Stickel, die Physiker Schaeffer und Abbe, der Zoologe Haeckel, die Philologen Vermehren, Berthold Delbrück, Heinrich Gelzer, Georg Goetz und Friedrich Kluge.

Freilich war es den Erhalterstaaten nicht möglich gewesen, den oder jenen an unserer Universität zu halten. Berlin hatte uns den Botaniker Pringsheim, den Theologen Otto Pfeiderer die Mediziner Oskar Hertwig und Paul Fürbringer den Historiker Dietrich Schäfer genommen, und ebenso waren die Historiker Jakob Cars, Bernhard v. Simson, die Germanisten Bechstein, Eduard Sievers und Erwin Rohde, die Mediziner Karl Gerhard, v.Leube, Hermann Nothnagel und die Zoologen Richard Hertwig und Anton Dohrn, vor allen aber der Philosoph Kuno Fischer von Jena weggegangen, und wenn man ihnen auch in Otto Liebmann, Ottokar Lorenz, Rudolf Hirzel, Otto Schrader, Wilhelm Meyer-Lübke, Wilhelm Biedermann, Ludwig Knorr, Rudolf Eucken und anderen namhafte Nachfolger gegeben hatte ,so empfand man ihr Scheiden doch als einen Verlust, der sich in einigen Fällen nur schwer verwinden ließ.

Die Fürsorge der Regierungen, die seit 1881 in Eggeling einen verdienstvollen und umsichtigen Kurator bestellt hatten, gehörte aber fast ebenso sehr dem Ausbau der Universitätsinstitute: die Landesheilanstalt wurden den Medizinern mit ihrem reichen Material zur Verfügung gestellt, und der Bahnanschluß bedingte bald eine bedeutende Steigerung des Krankenmateriales; bedauerlich war es , daß sich die altenburgische Regierung nicht dazu entschließen konnte, ihre Landesheilanstalten ebenfalls hierher zu verlegen: partikularistische Tendenzen führten zur Gründung des Genesungsbaues in Roda; für Jena erwies sich dies zum Nachteil. Aber es blieb Jena noch immer reichlich genug: in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entstanden die Krankenhäuser, zuerst das der Irrenanstalt, zuletzt das der geburtshilflichen Klinik.

1826 wurde das landwirtschaftliche Institut eröffnet.

1849 das staatswissenschaftliche Seminar, und jedes weitere Jahrzehnt ließ weitere Institute und Seminare erstehen.

Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die Rosenbrauerei; der Maulesel wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem Klaatsch und dem Dorfteufel vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert

Seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der Rosengesellschaft ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere Zeit im Prinzessinnengarten-Schlößchen weilte und hier wie auch in Weimar sich gern von Jeneser Professoren umgeben sah.

In enger Beziehung zur Universität und doch unabhängig von ihr hatte sich die Optische Werkstätte von Carl Zeiß entfaltet. Der Wendepunkt in ihrer Entwicklung war das Jahr 1866, als Ernst Abbe eintrat. Zwanzig Jahre lang hatte Carl Zeiß Mikroskope hergestellt, so gut und so schlecht, wie sie eben damals angefertigt wurden; aber er nahm die Mängel nicht als etwas Unvermeidliches hin, sondern trachtete danach, sie nicht durch Probieren, Barrieren, Modifizieren zu verbessern, sondern ihre Herstellung auf wissenschaftliche Berechnung zu gründen. In diesem Gedanken fanden sich Zeiß und Abbe zusammen. Anfängliche Mißerfolge schienen der Behauptung der Konkurrenz recht zu geben, daß Mikroskope auf Grund der Theorie nicht gebaut werden könnten, ja sie betonten schadenfroh bei der Empfehlung ihrer Erzeugnisse, daß sie sie nicht nach Jenaer Art hergestellt hatten. Bald aber hatten Abbe und Zeiß des Rätsels Lösung gefunden, und 1886 wurde bei zirka 300 Arbeitern das zehntausendste Mikroskope fabriziert! Bedingt wurde dieser einzigartige Aufschwung auch mit dadurch, daß 1882 Otto Schott aus Witten nach Jena übersiedelte und unter Mitwirkung von Carl Zeiß und seinem Sohne Roderich Zeiß und Dank einer bedeutenden Beihilfe der preußischen Regierung 1884 das „Glastechnische Laboratorium“ eröffnen konnte.

Durch das Zusammenarbeiten der drei Männer Zeiß, Abbe und Schott beginnt die Reifezeit, das Emporwachsen zum Großbetrieb, der sich nicht an der Mikroskopherstellung genügen läßt, sondern die gesamte praktische Optik umspannt. 1875 wurde Ernst Abbe, 1881 Roderich Zeiß Teilhaber ; als aber am 3. Dezember 1888 Carl Zeiß starb und 1889 Roderich Zeiß zurücktrat, gründete Ernst Abbe im Mai 1889 die „Carl-Zeiß-Stiftung zu Jena“ und machte damit dieses Jahr zu einem zweiten bedeutenden Wendepunkt in der Entwicklungsgeschichte der Firma.

Damit freilich gewann Jena, das bisher ein beschauliches Gelehrtennest gewesen war, eine andere Physiognomie : bei einer Gesamtbevölkerung von 14 000 Menschen wollen freilich 500 Arbeiter noch nicht soviel besagen wie 500 Studenten; Jena verdiente an jenen auch höchstens eine halbe Million Mark im Jahre 1889.

Aber es bahnte sich doch hier eine neue Macht die Wege, die damals freilich durch das Sozialistengesetz von 1878 im Schach gehalten wurde, sich aber doch schon 1872 dazu verstanden hatte, in Wilhelm Liebknecht einen eigenen Kandidaten für Jena aufzustellen, und die es gern und wiederholt betonte, daß Karl Marx 1811 in Jena zum Doktor promoviert worden war. Und dazu kam, daß Jena außer dem optischen und glastechnischen Laboratorium über wenige andere Fabriken nur verfügte. Denn industriell war Jena nur wenig entwickelt: am bedeutendsten war die Weidigsche Klavierfabrik, die 1843 in Heichelheim gegründet worden war, bald aber nach Jena verlegt wurde, wo sie zuerst in der Lödder- und 1857 in der Quergasse ein Unterkommen gefunden hatte, bis sie 1883 nach der Nollendorfer Vorstadt übersiedelte. Daneben durfte die 1810 gegründete Seifenfabrik von Triebitz Anspruch auf Beachtung erheben. 1826 hatte der Maurermeister Timter die Ratsziegelei erworben, die 1859 in den Besitz von Bernhard Böhme überging ; daneben schwang sich 1859 – 1873 die Timtersche Ofenfabrik zu großem Ansehen auf. 1868 folgten die Hartungschen und Grunerschen Sägewerke. 1870 gründete Krüger die Magdelstiegelziegelei 1871 Hugo Boehme eine Zementfabrik, die freilich 1883 in eine Blechemballagenfabrik umgewandelt wurde. Damit haben wir aber auch alles, was an Fabriken im damaligen Jena bestand, denn die Zinngießerei von Franz Hering und die Kupferschmiede von Pflug genossen zwar weiterhin einen berechtigt guten Ruf, aber weder bei ihren Arbeitern noch denen der anderen Betriebe konnten die Zeiß-Arbeiter wesentlichen Rückhalt finden. Freilich dürfen wir in diesem Zusammenhänge nicht übersetzen, daß sich auch in Jenas unmittelbarer Umgebung industrielle Unternehmungen entwickelt hatten. So bestanden in Wenigenjena die Kammgarnfabrik von Eduard Weimar ( 1820-1890), wo auch 1864 die erste Dampfmaschine aufgestellt wurde, die Lüdkesche Fabrik für Studentenrequisiten und die Glasersche Klavierfabrik, in Burgau war 1881 die Frommoltsche Holzstoffabrik und in Göschwitz 1886 die Portland Zementfabrik errichtet worden, aber alle diese Unternehmungen hielten sich zunächst doch in ganz bescheidenen Grenzen. Weit bekannter waren dagegen Jenas Verlage, von denen der Neuenhahnsche der älteste war, daneben sich seit 1850 der Costenblesche, seit 1853 der Verlag und das Antiquariat von Friedrich Strobel und namentlich seit 1878 als Maukes Nachfolger der Verlag von Gustav Fischer neben Frommanns und Junkelmanns Verlag Jena zu einem buchhändlerisch beachtenswerten Städtchens gemacht hatten.

Gewiß hatte sich auch Jena seit dem Anschluß an das Eisenbahnnetz entwickelt; aber wenn es 1884 noch die drittgrößte Stadt nach Weimar und Eisenach im Großherzogtum gewesen war, so hatte Apolda es schon im Jahre 1880 überflügelt; jenes hatte sich in diesem Zeitraume nur verdoppelt, dieses aber verfünffacht!

Was aber immer zu Jenas Gunsten gesprochen hatte, was seinerzeits sogar ausschlaggebend gewesen war, daß die Universität hierher verlegt wurde, waren Jenas weithin bekannte günstige Gesundheitsverhältnisse : Jenas Sterblichkeit hielt sich in den Jahren 1887 – 1889 auf 15.91; 16.70; und 16.11 pro Tausend, und alle anderen thüringischen Städte wiesen eine z.T. sogar sehr wesentlich höhere Sterblichkeitsziffer auf.

Verhältnismäßig gering war die Zahl der Bürger: noch 1882 waren 10.7 % der Bewohner Bürger, 1889 besaßen nur noch 8.3 % das Bürgerrecht. Mitbestimmend mag hierbei gewesen sein, daß seit dem Sportelgesetz vom 5. Januar 1887 die Erwerbung des Bürgerrechts an die Gebühr von 15 M. gebunden war, und gar mancher wird diese Abgabe gescheut haben. Mit dem Wachsen der Bevölkerung hatte nun aber die Zunahme an Häusern, namentlich an Kleinwohnungen , in keiner Weise Schritt gehalten, und schon 1886 hatte deshalb der Gemeindevorstand die Bildung einer Baugesellschaft ins Werk gesetzt. Drei Jahre dauerte es, bis die Satzungen ausgearbeitet waren und ein Aufruf zur Anteilszeichnung beabsichtigt werden konnte; vor allem bildeten die ungewöhnlich hohen Baupreise ein solches Hindernis, daß man sich zunächst überhaupt keinerlei Rentabilität zu versprechen vermochte. Wie dringend nötig Abhilfe war, ersieht man daraus, daß bei 516 Wohnungen, die weniger als 100 M. kosteten, in 342 die Küche fehlte und 44 als ungesund bezeichnet werden mußten! Daß man im Jahre 1887 11 und 1888 15 Neubauten errichtet hatte, linderte zwar das Übel etwas, vermochte es aber nicht annähernd zu beheben.

Recht gut entwickelt hatten sich in Jena die Schulen. Als älteste reichte die Bürgerschule in ihren Anfängen bis in die Reformationszeit, ja sogar noch weiter zurück. Die Schülerzahl war natürlich gewachsen; man stand daher schon 1887 vor der schwerwiegenden Frage, ein neues Schulhaus bauen zu müssen, und zwar legte man dem Ministerium den Plan für ein Schulhaus vor, in dem man 26 Klassen hätte unterbringen können. Infolge allerlei Bedenken entschloß man sich aber 1889, das Haus kleiner zu bauen, so daß nur 18 Klassen Platz gefunden hätten, während man die alte Bürgerschule hinter der Kirche mit 8 Klassen beizubehalten sich entschloß. Für die höhere Ausbildung der Knaben sorgte das Pfeiffersche Institut, das 1832 von dem Schweizer Dr.Herzog hier errichtet worden und seit 1882 unter dem Direktor Dr.Pfeiffer mächtig emporgeblüht war. Daneben bestand die Stoysche Erziehungsanstalt seit 1880 und seit 1876 das Gymnasium, das bis 1889 151 Abiturienten entlassen hatte. Für die höhere Ausbildung der Mädchen bestanden die Schmidtsche und Schülersche Schulen, die in Fräulein Strohschein und Ludewig Leiterinnen gefunden hatten, die in ihrer Vorbildung den gesetzlichen Anforderungen entsprachen. Die Stadt erwog ernstlich den Plan, durch Übernahme der einen oder beider Privatschulen eine städtische höhere Mädchenschule zu gründen, schon im Jahre 1888, kam aber zu keinem Entschluß. Im Jahre 1858 war eine städtische gewerbliche Fortbildungsschule ins Leben gerufen worden, die sich unter der Leitung von Flex und seit 1863 von Papst erfreulich entwickelt hatte.

Für die Belehrung und Unterhaltung der Bevölkerung hatte Karl Köbler auf seinem Engelgrundstück 1873 sein Sommertheater gebaut, in welchem „Martin Luther“ seine Uraufführung erlebte und alljährlich die akademischen Konzerte ein musikliebendes und verständiges Publikum den bedeutendsten Künstlern lauschen ließen. Nehmen wir dazu, daß Jena seit 1879 ein Oberlandesgericht beherbergte, daß es Sitz des Amtsgerichtes, Standort des Militärs war, so wird man verstehen, daß alljährlich ein beträchtlicher Fremdenzustrom die Stadt passierte. Im Jahre 1888 belief sich deren Zahl auf 22 143 Menschen, und daran hatten die Bahnen sicherlich das Hauptverdienst. An die Bahn von Nord – Süd waren waren ja auch schon die Unstrut- und die Halle – Bebra-Bahn, aber auch Schwarza – Blankenburg, Pößneck – Judewein, Pößneck – Oppurg und Probstzella – Eichicht und an die Ost – West-Bahn Gera – Glauchau, Gera – Eichicht und Weimar – Berka angeschlossen. Zwar besorgten seit 1866 die Trautmüllern und die alten Gießler noch immer regelmäßig ihre Botengänge, aber ihre Verdienstmöglichkeiten verminderten sich von Monat zu Monat. Beide Bahnen waren Privatunternehmen, das einzige Moment, das sich schädigend, namentlich auf die Höhe der Frachtsätze, auswirkte. Mit Apolda vermittelte die Botenfrau Charlotte Thiele seit 1857 einen regelmäigen Verkehr. Das Projekt, eine Bahn zwischen Apolda und Jena herzustellen, „ hat ein lebhaftes Interesse in unserer Stadt kaum zu erwecken vermocht“. Störend empfand man in Jena immerhin, daß es keinen Fernsprechverkehr gab. Vereinzelte Betriebe, Zeiß, Pohle, Fischer , Böhme und die Stadtverwaltung hatten sich interne Anlagen geschaffen; als aber z.B. die Stadtverwaltung ihre Anlage auch dem Publikum zur Verfügung stellte, legte die Erfurter Oberpostdirektion auf Grund des Art.48 der Reichsverfassung Einspruch ein, der dann freilich im Vergleichswege zurückgezogen wurde.

Um den Fremden Jena aber noch lockender zu gestalten, hatte der Baurat Karl Botz nicht geruht, ehe er nicht eine große Zahl von Verschönerungen der Umgegend unserer Stadt durchgeführt hatte: die Bewaldung des Tatzend war seine erste Tat, es erfolgte der Bau von Zugangswegen zum Forst und zum Tatzend, die Anlage des Weges durch den Münchenrodaer Grund zum Forste; die Bewaldung an der Nordseite der Kernberge, der Bau der Horizontale bis zur Diebeskrippe, die Wege am Jenzig, an den Sonnenbergen, zur Kunitzburg, und endlich die Bepflanzung und Wegeanlage im Mühltale. Mit einer Großzügigkeit und verständnisvollem Geschmack hat sich Botz, der seit 1846 als Chausseebauinspektor in Jena wohnte, dieser seiner Lieblingtätigkeit gewidmet, daß sein Tod 1890 allgemein auf das allerlebhafteste bedauert wurde.

An der Spitze dieser aufblühenden und mannigfach interessanten Stadt stand nach Eucken-Addenhausens Abgang der Bürgermeister Dr. Thieler, dessen Geschäfte im Behinderungsfalle der stellv. Bürgermeister Eduard Polz führte. Ein herzliches Einvernehmen herrschte mit dem Gemeinderate, dessen Vorsitzender,Oberlandesgerichtsrat Dr. Krieger, die Sitzungen mit Geschick und Würde zu leiten verstand. Der Gemeinderat hatte sich 1854 eine Geschäftsordnung gegeben, die 1862 erweitert worden war. Bei dem ruhigen Verlaufe der Sitzungen und dem ungestörten Geschäftsgange hatten sie sich als völlig ausreichend die Jahrzehnte hindurch erwiesen. Gewissenhafte und arbeitsfreudige Beamte standen dem Bürgermeister hilfreich zur Seite, namentlich der Stadtschreiber Robert Bergmann, der seit 1877 in städtischen Diensten stand und 1882 anstatt des Stadtschreibers Buschmann amtierte, welcher von 1851 an diesen Posten verwaltet hatte und 1910 starb.

1888 hatte man in Cosack einen recht fähigen Stadtbaudirektor angestellt, doch machte sich seitens der Jenaer Architekten schon bald eine gewisse Gegnerschaft bemerkbar, weil dem Stadtbaudirektor die Entwürfe und Ausführung von Bauten überlassen wurden, an denen bisher jene mitgearbeitet hatten. Nach der Gemeindeordnung von 1869, die sich in vielen Punkten als recht unpraktisch erwiesen hatte, und an deren Revision Regierung und Landtag arbeiteten, waren die Städte die Inhaber der Polizeigewalt. Demgemäß hatte man 1887 das Meldewesen in Jena umgestaltet, hatte im Anschluß an die beiden Hochwasser des Jahres 1888 mit Saalfeld und Saalburg einen Hochwassernachrichtendienst eingerichtet, hatte man den neuen Friedhof geschaffen, vor allem aber am 22.Juni 1881 den Stadtbauplan genehmigt und am 31.August 1887 die Kanalisation beschlossen. Beide Beschlüsse wirkten sich in der Folgezeit erst richtig aus und führten Streitigkeiten herbei, wie sie das vergangene Jahrzehnt nicht für möglich gehalten hätte. Der Stadtbauplan war von einem Ausschuß bearbeitet worden, der aus den Herrren Timler, Botz , Spittel, Uhlitzsch und Hartung bestand; er war 1873 von Regierungsbaumeister Wilckens durchgearbeitet und endlich am 12.September 1882 vom Staatsministerium genehmigt worden; dreizehn Jahre lang hatte man daran gearbeitet. Aber da hier ebenso wie bei der Kanalisation der Einzelne zugunsten der Allgemeinheit geschädigt wurde, verstehen sich von selbst die Abneigung und das Aufbegehren gegen den Stadtbauplan und Kanalisation von seiten weiter Kreise der Bürgerschaft.