Deutsche und französische Kultur im Elsass/012: Unterschied zwischen den Versionen

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selbständig zu werden, denn auch das Kleingewerbe ist durchaus kapitalistisch organisiert; jedoch sind die Fälle, dass ein Gewerbsgehülfe sich selbständig macht, naturgemäss viel häufiger als die gleiche Entwickelung bei dem Industriearbeiter. Am ersten gelingt es ihm noch im Handelsgewerbe, oder wenn er als Handwerker auf das platte Land geht. Auch sind die sozialen Gegensätze zwischen dem Kleinbürger und seinem Gewerbsgehülfen naturgemäss nicht so schroff wie zwischen Fabrikant und Arbeiter, und das Verhältnis trägt noch viele patriarchalische Züge an sich. Die grossindustrielle Arbeiterschaft Mülhausens unterscheidet sich heute in nichts mehr von dem zielbewussten Proletariat einer deutschen Grossstadt, höchstens steht sie ihm an Bildung nach. Die Landarbeiter sind regelmässig, die ländlichen Industriearbeiter meistens im Besitze eines Häuschens und einiger Stücke Landes, oder haben wenigstens Land gepachtet. In der Ebene und im Hügelland, wo die Landarbeiter meist sehr gesucht sind und die Erwerbsgelegenheit mannigfaltig ist, sind ihre Verhältnisse gut; dagegen ist die Lage der zwergbäuerlichen Industriearbeiter im Gebirge meist wenig befriedigend.
selbständig zu werden, denn auch das Kleingewerbe ist durchaus kapitalistisch organisiert; jedoch sind die Fälle, dass ein Gewerbsgehülfe sich selbständig macht, naturgemäss viel häufiger als die gleiche Entwickelung bei dem Industriearbeiter. Am ersten gelingt es ihm noch im Handelsgewerbe, oder wenn er als Handwerker auf das platte Land geht. Auch sind die sozialen Gegensätze zwischen dem Kleinbürger und seinem Gewerbsgehülfen naturgemäss nicht so schroff wie zwischen Fabrikant und Arbeiter, und das Verhältnis trägt noch viele patriarchalische Züge an sich. Die grossindustrielle Arbeiterschaft Mülhausens unterscheidet sich heute in nichts mehr von dem zielbewussten Proletariat einer deutschen Grossstadt, höchstens steht sie ihm an Bildung nach. Die Landarbeiter sind regelmässig, die ländlichen Industriearbeiter meistens im Besitze eines Häuschens und einiger Stücke Landes, oder haben wenigstens Land gepachtet. In der Ebene und im Hügelland, wo die Landarbeiter meist sehr gesucht sind und die Erwerbsgelegenheit mannigfaltig ist, sind ihre Verhältnisse gut; dagegen ist die Lage der zwergbäuerlichen Industriearbeiter im Gebirge meist wenig befriedigend.


Wenn wir diese wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Elsasses mit denen Frankreichs vergleichen, so springt die grosse Ähnlichkeit beider Gebiete deutlich ins Auge. Hier wie dort ein herrliches fruchtbares Land, wohl geeignet zu allerlei Spezialkulturen, unter denen der Weinbau die erste Stelle einnimmt. Hier wie dort eine bedeutende industrielle Entwickelung, die doch nicht die kleingewerbliche wesentlich geschädigt hat, sondern zum grösseren Teil sogar selbst in kleingewerblichen Formen vor sich geht. Daher dieselbe soziale Gliederung: ein reicher Mittel- und Kleinbauernstand auf dem Land, ein wohlhabender Kleinbürgerstand in den Städten, darüber ein Stand industrieller oder handeltreibender Notabein, und diesem entsprechend ein proletarischer Arbeiterstand, während die ebenfalls höchst zahlreichen Gewerbsgehülfen der kleingewerblichen Luxusindustrieen eine mehr individualistische kleinbürgerliche Eigenheit tragen. Es ist klar, dass diese Ähnlichkeit nicht durch die politische Zugehörigkeit des Elsasses zu Frankreich bedingt war, sondern schon lange vorher als ein Produkt natürlicher und sozialer Entwickelung bestanden hat und durch die politische Zugehörigkeit höchstens befördert worden ist. Diese Ähnlichkeit nun bildete eine wesentliche Vorbedingung dafür, dass die französische Kultur, nachdem einmal das Elsass dem französischen Staate einverleibt war, sich so rasch und so durchgreifend
Wenn wir diese wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Elsasses mit denen Frankreichs vergleichen, so springt die grosse Ähnlichkeit beider Gebiete deutlich ins Auge. Hier wie dort ein herrliches fruchtbares Land, wohl geeignet zu allerlei Spezialkulturen, unter denen der Weinbau die erste Stelle einnimmt. Hier wie dort eine bedeutende industrielle Entwickelung, die doch nicht die kleingewerbliche wesentlich geschädigt hat, sondern zum grösseren Teil sogar selbst in kleingewerblichen Formen vor sich geht. Daher dieselbe soziale Gliederung: ein reicher Mittel- und Kleinbauernstand auf dem Land, ein wohlhabender Kleinbürgerstand in den Städten, darüber ein Stand industrieller oder handeltreibender Notabeln, und diesem entsprechend ein proletarischer Arbeiterstand, während die ebenfalls höchst zahlreichen Gewerbsgehülfen der kleingewerblichen Luxusindustrieen eine mehr individualistische kleinbürgerliche Eigenheit tragen. Es ist klar, dass diese Ähnlichkeit nicht durch die politische Zugehörigkeit des Elsasses zu Frankreich bedingt war, sondern schon lange vorher als ein Produkt natürlicher und sozialer Entwickelung bestanden hat und durch die politische Zugehörigkeit höchstens befördert worden ist. Diese Ähnlichkeit nun bildete eine wesentliche Vorbedingung dafür, dass die französische Kultur, nachdem einmal das Elsass dem französischen Staate einverleibt war, sich so rasch und so durchgreifend
 
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Aktuelle Version vom 8. April 2008, 07:32 Uhr

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Deutsche und französische Kultur im Elsass
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Bildunterschrift:
TH. SCHULER: BAUERNHÄUSER IN ANDLAU.

selbständig zu werden, denn auch das Kleingewerbe ist durchaus kapitalistisch organisiert; jedoch sind die Fälle, dass ein Gewerbsgehülfe sich selbständig macht, naturgemäss viel häufiger als die gleiche Entwickelung bei dem Industriearbeiter. Am ersten gelingt es ihm noch im Handelsgewerbe, oder wenn er als Handwerker auf das platte Land geht. Auch sind die sozialen Gegensätze zwischen dem Kleinbürger und seinem Gewerbsgehülfen naturgemäss nicht so schroff wie zwischen Fabrikant und Arbeiter, und das Verhältnis trägt noch viele patriarchalische Züge an sich. Die grossindustrielle Arbeiterschaft Mülhausens unterscheidet sich heute in nichts mehr von dem zielbewussten Proletariat einer deutschen Grossstadt, höchstens steht sie ihm an Bildung nach. Die Landarbeiter sind regelmässig, die ländlichen Industriearbeiter meistens im Besitze eines Häuschens und einiger Stücke Landes, oder haben wenigstens Land gepachtet. In der Ebene und im Hügelland, wo die Landarbeiter meist sehr gesucht sind und die Erwerbsgelegenheit mannigfaltig ist, sind ihre Verhältnisse gut; dagegen ist die Lage der zwergbäuerlichen Industriearbeiter im Gebirge meist wenig befriedigend.

Wenn wir diese wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Elsasses mit denen Frankreichs vergleichen, so springt die grosse Ähnlichkeit beider Gebiete deutlich ins Auge. Hier wie dort ein herrliches fruchtbares Land, wohl geeignet zu allerlei Spezialkulturen, unter denen der Weinbau die erste Stelle einnimmt. Hier wie dort eine bedeutende industrielle Entwickelung, die doch nicht die kleingewerbliche wesentlich geschädigt hat, sondern zum grösseren Teil sogar selbst in kleingewerblichen Formen vor sich geht. Daher dieselbe soziale Gliederung: ein reicher Mittel- und Kleinbauernstand auf dem Land, ein wohlhabender Kleinbürgerstand in den Städten, darüber ein Stand industrieller oder handeltreibender Notabeln, und diesem entsprechend ein proletarischer Arbeiterstand, während die ebenfalls höchst zahlreichen Gewerbsgehülfen der kleingewerblichen Luxusindustrieen eine mehr individualistische kleinbürgerliche Eigenheit tragen. Es ist klar, dass diese Ähnlichkeit nicht durch die politische Zugehörigkeit des Elsasses zu Frankreich bedingt war, sondern schon lange vorher als ein Produkt natürlicher und sozialer Entwickelung bestanden hat und durch die politische Zugehörigkeit höchstens befördert worden ist. Diese Ähnlichkeit nun bildete eine wesentliche Vorbedingung dafür, dass die französische Kultur, nachdem einmal das Elsass dem französischen Staate einverleibt war, sich so rasch und so durchgreifend