Deutsche und französische Kultur im Elsass/020: Unterschied zwischen den Versionen
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Strassburgs waren neben dem Adel der Teil der Bevölkerung, der die lebhaftesten Beziehungen mit Deutschland und deutscher Kultur pflegte. Sie spielten in gewissem Sinn die dem Elsässer so oft von beiden Seiten zugedachte Vermittlerrolle zwischen den zwei grossen Nationen. Aber ihr Einfluss ging über die eigenen Kreise und die bäuerliche Bevölkerung des Nordens nicht hinaus. Die | Strassburgs waren neben dem Adel der Teil der Bevölkerung, der die lebhaftesten Beziehungen mit Deutschland und deutscher Kultur pflegte. Sie spielten in gewissem Sinn die dem Elsässer so oft von beiden Seiten zugedachte Vermittlerrolle zwischen den zwei grossen Nationen. Aber ihr Einfluss ging über die eigenen Kreise und die bäuerliche Bevölkerung des Nordens nicht hinaus. Die Notabeln waren indifferent oder gar als Voltairianer erklärte Feinde jedes positiven<ref>''GenWiki-Red.: Im Drucktext: "politischen". Verändert nach Korrektur im Handexemplar des Verfassers.''</ref> Bekenntnisses, die Kleinbürger verhielten sich ebenfalls ziemlich gleichgültig, die Reformierten des Oberelsasses wies ihr Bekenntnis viel weniger auf Deutschland als auf die Schweiz hin. Man kann also zusammenfassend sagen: beide Bekenntnisse, das katholische und protestantische, haben das Eindringen der französischen Kultur in die Notabeln- und Bürgerkreise der Städte nicht verhindert. Allerdings hielten die lutherischen Gelehrten und Theologen im Unterelsass für ihre Person und ihre Familien den Zusammenhang mit der deutschen Kultur aufrecht. Aber auch sie wurden gute Franzosen nur mit dem Unterschied, dass sie als gebildete Leute den alten Zusammenhang mit Deutschland, auf den ihr Bekenntnis, ihre Sprache und ihre Studien sie immer wieder hinwiesen, nicht ganz vergassen und gelegentlich ihre Nationalität als Schild für ihren Glauben benutzten. Beide Bekenntnisse haben das Eindringen der französischen Kultur, besonders der Sprache, in die Landbevölkerung zu hindern gesucht und mit Erfolg gehindert. In den protestantischen Dörfern des Nordens hat das Bekenntnis der Bevölkerung zur Erhaltung ihrer deutschen Art positiv beigetragen. Fragen wir nun, ob die religiöse Kultur des Elsässers im allgemeinen mehr der religiösen Kultur des Franzosen oder der des Deutschen gleicht, so muss hervorgehoben werden, dass in dieser Hinsicht das Elsass mehr deutsche als französische Züge aufweist. Der Protestantismus Frankreichs ist der strenge weltfeindliche Kalvinismus, der das ganze Leben erfüllt und seinen Anhänger zu einem tüchtigen, aber unduldsamen, der Weltfreude abgeneigten Menschen macht. Der französische Katholizismus ist die katholische Kirche der romanischen Länder, „die Ketzer strafend, doch den Sündern mild." Dabei hat die katholische Kirche über einen grossen Teil ihrer Bekenner die Macht verloren, sie sind liberal oder sozialistisch, d. h. ungläubig und antikirchlich geworden. In Deutschland ist es gerade umgekehrt. Hier sind es gerade die Protestanten, die Anhänger der Staatskirche, die den politischen Liberalismus und die religiöse Gleichgültigkeit hauptsächlich vertreten, während die Katholiken streng religiös völlig der Kirche unterthan sind und in politischer Beziehung eng zusammenhaltend als rein kirchliche Partei einen bedeutenden Einfluss im Staatsleben erlangt haben. Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspunkt das Elsass, so treten die Deutschland ähnlichen Züge scharf hervor. Die Protestanten sind überall liberal, freimaurerisch, indifferent, ja religionsfeindlich. Auch die oberelsässischen Reformierten lassen sich an kirchlicher Strenge und religiöser Lebensführung weder mit ihren schweizerischen noch mit ihren französischen Glaubensgenossen vergleichen. Allerdings ist ihr republikanischer Geist kalvinistischen Ursprungs, aber heute ist es nicht die theokratische Republik Kalvins, der sie anhängen, sondern die atheistische Republik Frankreichs. Die Katholiken dagegen sind völlig in der Hand der Kirche, die sie während der französischen Herrschaft vorwiegend in den Dienst der Monarchie stellte. Daher kam die monarchistische Haltung des Elsasses bei den Massenabstimmungen. Seit dem Jahre 1870 ist dieser deutsche Charakter der religiösen Kultur noch schärfer hervorgetreten. Die politischen Führer der katholischen Massen sind die Priester, selbst die Fabrikanten werden nur mit klerikaler Unterstützung in den Reichstag gewählt. Die einzige bedeutsame Ausnahme bildet Mülhausen, wo die Sozialdemokratie ihren siegreichen Einzug gehalten hat, aber auch dort war bis zum Einbruch der Sozialdemokratie die Macht der Kirche über die Arbeiter sehr bedeutend. So sehen wir eine spezifisch deutsche Eigentümlichkeit, nämlich die strikte Abhängigkeit des Katholiken von der Kirche und die verhältnismässige Lauheit des Protestanten im Charakter der Elsässer scharf hervortreten. Die religiöse Kultur, die sich unmittelbar auf dem Volkscharakter aufbaut, trägt deutsche Züge und unterscheidet sich wesentlich von der des französischen Volkes. | ||
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Aktuelle Version vom 10. April 2008, 13:34 Uhr
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Strassburgs waren neben dem Adel der Teil der Bevölkerung, der die lebhaftesten Beziehungen mit Deutschland und deutscher Kultur pflegte. Sie spielten in gewissem Sinn die dem Elsässer so oft von beiden Seiten zugedachte Vermittlerrolle zwischen den zwei grossen Nationen. Aber ihr Einfluss ging über die eigenen Kreise und die bäuerliche Bevölkerung des Nordens nicht hinaus. Die Notabeln waren indifferent oder gar als Voltairianer erklärte Feinde jedes positiven[1] Bekenntnisses, die Kleinbürger verhielten sich ebenfalls ziemlich gleichgültig, die Reformierten des Oberelsasses wies ihr Bekenntnis viel weniger auf Deutschland als auf die Schweiz hin. Man kann also zusammenfassend sagen: beide Bekenntnisse, das katholische und protestantische, haben das Eindringen der französischen Kultur in die Notabeln- und Bürgerkreise der Städte nicht verhindert. Allerdings hielten die lutherischen Gelehrten und Theologen im Unterelsass für ihre Person und ihre Familien den Zusammenhang mit der deutschen Kultur aufrecht. Aber auch sie wurden gute Franzosen nur mit dem Unterschied, dass sie als gebildete Leute den alten Zusammenhang mit Deutschland, auf den ihr Bekenntnis, ihre Sprache und ihre Studien sie immer wieder hinwiesen, nicht ganz vergassen und gelegentlich ihre Nationalität als Schild für ihren Glauben benutzten. Beide Bekenntnisse haben das Eindringen der französischen Kultur, besonders der Sprache, in die Landbevölkerung zu hindern gesucht und mit Erfolg gehindert. In den protestantischen Dörfern des Nordens hat das Bekenntnis der Bevölkerung zur Erhaltung ihrer deutschen Art positiv beigetragen. Fragen wir nun, ob die religiöse Kultur des Elsässers im allgemeinen mehr der religiösen Kultur des Franzosen oder der des Deutschen gleicht, so muss hervorgehoben werden, dass in dieser Hinsicht das Elsass mehr deutsche als französische Züge aufweist. Der Protestantismus Frankreichs ist der strenge weltfeindliche Kalvinismus, der das ganze Leben erfüllt und seinen Anhänger zu einem tüchtigen, aber unduldsamen, der Weltfreude abgeneigten Menschen macht. Der französische Katholizismus ist die katholische Kirche der romanischen Länder, „die Ketzer strafend, doch den Sündern mild." Dabei hat die katholische Kirche über einen grossen Teil ihrer Bekenner die Macht verloren, sie sind liberal oder sozialistisch, d. h. ungläubig und antikirchlich geworden. In Deutschland ist es gerade umgekehrt. Hier sind es gerade die Protestanten, die Anhänger der Staatskirche, die den politischen Liberalismus und die religiöse Gleichgültigkeit hauptsächlich vertreten, während die Katholiken streng religiös völlig der Kirche unterthan sind und in politischer Beziehung eng zusammenhaltend als rein kirchliche Partei einen bedeutenden Einfluss im Staatsleben erlangt haben. Betrachten wir nun unter diesem Gesichtspunkt das Elsass, so treten die Deutschland ähnlichen Züge scharf hervor. Die Protestanten sind überall liberal, freimaurerisch, indifferent, ja religionsfeindlich. Auch die oberelsässischen Reformierten lassen sich an kirchlicher Strenge und religiöser Lebensführung weder mit ihren schweizerischen noch mit ihren französischen Glaubensgenossen vergleichen. Allerdings ist ihr republikanischer Geist kalvinistischen Ursprungs, aber heute ist es nicht die theokratische Republik Kalvins, der sie anhängen, sondern die atheistische Republik Frankreichs. Die Katholiken dagegen sind völlig in der Hand der Kirche, die sie während der französischen Herrschaft vorwiegend in den Dienst der Monarchie stellte. Daher kam die monarchistische Haltung des Elsasses bei den Massenabstimmungen. Seit dem Jahre 1870 ist dieser deutsche Charakter der religiösen Kultur noch schärfer hervorgetreten. Die politischen Führer der katholischen Massen sind die Priester, selbst die Fabrikanten werden nur mit klerikaler Unterstützung in den Reichstag gewählt. Die einzige bedeutsame Ausnahme bildet Mülhausen, wo die Sozialdemokratie ihren siegreichen Einzug gehalten hat, aber auch dort war bis zum Einbruch der Sozialdemokratie die Macht der Kirche über die Arbeiter sehr bedeutend. So sehen wir eine spezifisch deutsche Eigentümlichkeit, nämlich die strikte Abhängigkeit des Katholiken von der Kirche und die verhältnismässige Lauheit des Protestanten im Charakter der Elsässer scharf hervortreten. Die religiöse Kultur, die sich unmittelbar auf dem Volkscharakter aufbaut, trägt deutsche Züge und unterscheidet sich wesentlich von der des französischen Volkes.
- ↑ GenWiki-Red.: Im Drucktext: "politischen". Verändert nach Korrektur im Handexemplar des Verfassers.