Jena/Entwicklung 1889-1912: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 2. Oktober 2005, 15:29 Uhr
Aus dem Adressbuch Jena 1927/1928 (Erster Teil, Seite 1)
Jenas Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Singer ( 1889 – 1912 )
Von Dr. Herbert Koch, Jena.
Bis in das neunte Jahrzehnt des letztvergangenen Jahrhunderts beruhte die Bedeutung der Stadt Jena fast ausschließlich auf ihre Universität, die freilich gerade damals eine nicht unbedenkliche Krise durch machte oder doch mit knapper Not überstanden hatte.
Zunächst hatte die Schlacht bei Jena auch der Hochschule einen empfindlichen Schlag versetzt, schon aus dem Grunde, daß das ganze Land in seiner Finanzkraft schwer geschädigt war und der Universität nur im Verhältnis zu der Gesamtleistung Zuschüsse zukommen lassen konnte. Aber so ungünstig auch alles liegen mochte : die Regierung ließ die Akademie nicht fallen; im Gegenteil: die Dozentengehälter wurden erhöht, neue Seminare gegründet, die Bibliothek vergrößert.
1826 übernahmen auch Altenburg und Meiningen die Mitsorge für die Universität , aber die Studentenzahl ging von 609 im Jahre 1830 auf 385 im Jahre 1850 zurück. Zwei Gründe haben dies hauptsächlich bewirkt: erstens lagen die Nachbaruniversitäten an Eisenbahnlinien, und zweitens konnten dort die Studenten gleich ihrer Militärpflicht genügen, während erst 1867 das Bataillon nach Jena verlegt wurde. Ein bemerkenswerter Aufschwung trat erst ein, als 1874 die Saalbahn und 1876 die Weimar-Geraer Bahn eröffnet wurden.
Im Jahre 1880 besuchen 523, 1889 593 Studenten die Jenaer Universität. Die Erhalterstaaten ließen in diesen Jahrzehnten nichts unversucht, durch Berufung hervorragender Gelehrter das Studium in Jena den Studenten so verlockend wie möglich zu gestalten, und eine große Reihe bedeutendster Köpfe bildeten damals den Lehrkörper.
Unter den Theologen ragten Karl v. Hase , Wilibald Grimm, Adolf Hilgenfeld, Adelbert Lipsius hervor. Die medizinische Fakultät durfte stolz sein auf Franz v. Ried, der als einer der ersten die Resektionen in Deutschland ausgeführt hat, und neben dem die Anatomen Wilhem Müller und Karl v. Bardeleben, der Internist Moritz Seidel, der Gynokologe Bernhard Schulze, die Psychiater Theodor Zichen und Otto Binswanger als Lehrer und Gelehrte weithin den besten Ruf genossen.
In der juristischen Fakultät finden wir Namen wie Wilhelm Leist, Karl Kniep, Julius Pierstorff, August Thon, Eduard Rosenthal, und weiterhin lehrten hier der Orientalist Gustav Stickel, die Physiker Schaeffer und Abbe, der Zoologe Haeckel, die Philologen Vermehren, Berthold Delbrück, Heinrich Gelzer, Georg Goetz und Friedrich Kluge.
Freilich war es den Erhalterstaaten nicht möglich gewesen, den oder jenen an unserer Universität zu halten. Berlin hatte uns den Botaniker Pringsheim, den Theologen Otto Pfeiderer die Mediziner Oskar Hertwig und Paul Fürbringer den Historiker Dietrich Schäfer genommen, und ebenso waren die Historiker Jakob Cars, Bernhard v. Simson, die Germanisten Bechstein, Eduard Sievers und Erwin Rohde, die Mediziner Karl Gerhard, v.Leube, Hermann Nothnagel und die Zoologen Richard Hertwig und Anton Dohrn, vor allen aber der Philosoph Kuno Fischer von Jena weggegangen, und wenn man ihnen auch in Otto Liebmann, Ottokar Lorenz, Rudolf Hirzel, Otto Schrader, Wilhelm Meyer-Lübke, Wilhelm Biedermann, Ludwig Knorr, Rudolf Eucken und anderen namhafte Nachfolger gegeben hatte ,so empfand man ihr Scheiden doch als einen Verlust, der sich in einigen Fällen nur schwer verwinden ließ.
Die Fürsorge der Regierungen, die seit 1881 in Eggeling einen verdienstvollen und umsichtigen Kurator bestellt hatten, gehörte aber fast ebenso sehr dem Ausbau der Universitätsinstitute: die Landesheilanstalt wurden den Medizinern mit ihrem reichen Material zur Verfügung gestellt, und der Bahnanschluß bedingte bald eine bedeutende Steigerung des Krankenmateriales; bedauerlich war es , daß sich die altenburgische Regierung nicht dazu entschließen konnte, ihre Landesheilanstalten ebenfalls hierher zu verlegen: partikularistische Tendenzen führten zur Gründung des Genesungsbaues in Roda; für Jena erwies sich dies zum Nachteil. Aber es blieb Jena noch immer reichlich genug: in den ersten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts entstanden die Krankenhäuser, zuerst das der Irrenanstalt, zuletzt das der geburtshilflichen Klinik.
1826 wurde das landwirtschaftliche Institut eröffnet.
1849 das staatswissenschaftliche Seminar, und jedes weitere Jahrzehnt ließ weitere Institute und Seminare erstehen.
Manches Vorrecht hatten die Professoren im Laufe der Zeit aufgegeben: in den zwanziger Jahren beendete die Universität den eigenen Braubetrieb und verpachtete die Rosenbrauerei; der Maulesel wurde aber auch fernerhin von vielen Jenensern dem Klaatsch und dem Dorfteufel vorgezogen. Andere Rechte, namentlich das Steuerprivileg, waren beibehalten, wenngleich viele Dozenten es als unzeitgemäß , ja, dem freundschaftlichen Verhältnis zwischen Akademie und Bürgerschaft schädlich erachteten. Beibehalten waren aber vor allem die ungeschriebenen Vorrechte der Studenten, die sehr wohl wußten , daß sie jährlich fast eine Million Mark nach Jena brachten und damit eine Finanzquelle für die Stadt und die Bürger darstellten, kraft deren sie sich schon einmal einen mehr oder weniger harmlosen Scherz erlauben durften. Und ihre Sitten waren gegenüber früherer Zeiten sehr gemildert
Seit dem Jahre 1861, als der Student v. Derschau im Duell in Wöllnitz gefallen war , war bei den Mensuren und Duellen nichts ernsthaftes wieder vorgefallen, und die Studenten selbst zeigten, wie ernst ihnen die Veredlung der akademischen Sitten war. Aus mehr als einem Grunde also waren Studenten und Dozenten gern gesehen. Am öffentlichen Leben der Stadt nahmen sie den allerregsten Anteil ,mit den Honoratioren bestanden herzliche Freundschaften und auch außerhalb der Rosengesellschaft ein reger Verkehr, und gar mancher der Professoren durfte sich sogar aufrichtiger und freundschaftlicher Zuneigung des Rector Magnificentissimus Carl Alexander erfreuen , der alljährlich längere oder kürzere