Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte/1/075: Unterschied zwischen den Versionen
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Wagrien, denn nach Wegführung der Sachsen ward ganz Nordalbingien den Obotriten von Karl dem Großen abgetreten, 811 aber, als er wieder die Sachsen zurückkehren ließ, behielten sie nur Wagrien. Die Politik des Kaisers war, zum Schutze seines Reiches zwischen Sachsen und Dänen Slaven, die in gewisser Abhängigkeit von dem Reiche bleiben sollten, hineinzuschieben. Hatte er anfänglich ganz Nordalbingien zu diesem Zwecke aufgeben wollen, so änderte sich nun der Plan; aber mit dem Reiche an die Ostsee zu rücken, lag gänzlich außer seinem Interesse, vielmehr gradezu in demselben, es nicht zu thun, nicht bei dem Mangel einer Flotte eine höchst gefährliche offne Meeresgränze gegen die seegeübten Dänen zu erlangen, gegen welche schon die Friesischen Nordseeküsten seines Reiches zu schützen schwer genug war. Man begreift, dies erwägend, vollkommen, weshalb Wagrien den Obotriten verblieb, mochte es ihnen nun erst seit 804 oder schon früher gehört haben. Es verdient noch bemerkt zu werden, daß in viel späterer Zeit außerhalb Wagriens Slavische Familien wohnhaft waren, namentlich im Kirchspiel Nordtorf, also im eigentlichen Holstein, ums Jahr 1190, <ref>'' Diese Nachricht ist aus den <tt>visionibus Godescalci</tt> bei <tt>Langebek V, 367, 369.</tt> Auf S. 369 wird gesagt, es hätten viele Slaven damals im Kirchspiel Nordtorf gewohnt.''</ref> wobei es ungewiß bleibt, ob diese von der Zeit der Obotritenherrschaft 804 bis 811 oder von der späteren Slavischen Herrschaft über Holstein in den Jahren 1066 bis 1106 übrig geblieben. Diese Erscheinung aber, daß außerhalb der eigentlich Slavischen Landschaften in geringerer oder größerer Anzahl Familien dieses Volkes wohnten, ist keine vereinzelte; sie wurden selbst absichtlich herbeigezogen von den Landesherrschaften, denn „sie verstanden aus grünem Walde Feld zu machen“, heißt es, <ref>''<tt>novalia ex viridi sylva facere</tt> heißt es in einer Urkunde von 996. So zog das Kloster Fulda, welches in dem großen Buchenwalde (<tt>Buchonia</tt>) zwischen Hessen und Ostfranken gegründet war, Slavische Kolonisten herbei. In der Grafschaft Hohenlohe, im Lobedengau am Neckar zwischen Mannheim und Heidelberg und anderswo sind Spuren solcher Slavischen Ansiedelungen nachgewiesen. In das Bambergische und Würzburgische reichten sie weit hinein, und es hält schwer zu sagen, wenn von den dortigen Main- und Rednitzwenden (<tt>Moinwinidi et Radenzwinidi</tt>) die Rede ist, wieweit das ursprüngliche Slavenland dort reichte oder inwiefern sie auf fremdem Grunde wohnten. Schon Bonifacius spricht in einem Briefe <tt>de Sclavis, Christianorum terra inhabitantibus</tt>, und Karl der Gr. ließ für jene Slaven 14 Pfarrkirchen gründen. Ihm schreibt man auch die Versetzung von Slaven nach dem linken Ufer der Elbe in den uns näher belegenen Gegenden um Dannenberg, fast von Lüneburg an bis in die Altmark hinein, zu, wo sie sich lange erhalten haben und ihre Sprache erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit Gewalt unterdrückt wurde. Nach einer Aeußerung Helmolds (<tt>edit Bangert. p. 203</tt>) wären sie wenigstens in die Altmark um Salzwedel in das sogenannte Balsamer- und Marscinerland erst nach den Zeiten der Ottonen eingerückt. <tt>Siquidem has terras Saxones olim inhabitasse feruntur, tempore scilicet Ottonum, ut videri potest in antiquis aggeribus, qui congesti fuerant super ripas Albiae in terra palustri Balsamorum, sed praevalentibus postmodum Slavis, Saxones occisi et terra a Slavis usque ad nostra tempora possessa.</tt> - Um 1235 waren im Lüneburgischen Amte Knesebeck auf gewiß nicht ursprünglich Slavischem Boden (weil in dem Sächsischen Wittingau) Dörfer, die von heidnischen Slaven bewohnt wurden, welche, wenn sie vom Heidenthum nicht ablassen wollten, mit Verjagung bedroht wurden (zu Kuhzehrestorp jetzt Küstorf und Modenburg). S. Riedel, Mark Brandenburg, 1 Thl. S. 60 ff. — Im obern Eichsfelde war in dem Gebiete der Herren von Hanstein eine Wendische Kolonie von 14 Ortschaften, die Windische Mark genannt. In dem dazu gehörigen Dorfe Thalwenden oder Dalwenden westlich von Heiligenstadt an der Leine kommen 1055 noch <tt>mansi Slavorum</tt>, Slavische Hufen, vor. S. Bernhardi Sprachkarte von Deutschland S. 8. — Aehnliche Notizen über die Verbreitung der Slaven außerhalb ihres eigentlichen Landes lassen sich noch mehr zusammenbringen. So wenig solche auch dem ersten Anscheine nach hier ihren Ort haben möchten, dienen sie doch zur Aufklärung, schon um deßwillen, weil man sieht, daß die Slaven als nutzbar angesehen wurden.''</ref> | |||
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Version vom 31. März 2008, 09:34 Uhr
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Wagrien, denn nach Wegführung der Sachsen ward ganz Nordalbingien den Obotriten von Karl dem Großen abgetreten, 811 aber, als er wieder die Sachsen zurückkehren ließ, behielten sie nur Wagrien. Die Politik des Kaisers war, zum Schutze seines Reiches zwischen Sachsen und Dänen Slaven, die in gewisser Abhängigkeit von dem Reiche bleiben sollten, hineinzuschieben. Hatte er anfänglich ganz Nordalbingien zu diesem Zwecke aufgeben wollen, so änderte sich nun der Plan; aber mit dem Reiche an die Ostsee zu rücken, lag gänzlich außer seinem Interesse, vielmehr gradezu in demselben, es nicht zu thun, nicht bei dem Mangel einer Flotte eine höchst gefährliche offne Meeresgränze gegen die seegeübten Dänen zu erlangen, gegen welche schon die Friesischen Nordseeküsten seines Reiches zu schützen schwer genug war. Man begreift, dies erwägend, vollkommen, weshalb Wagrien den Obotriten verblieb, mochte es ihnen nun erst seit 804 oder schon früher gehört haben. Es verdient noch bemerkt zu werden, daß in viel späterer Zeit außerhalb Wagriens Slavische Familien wohnhaft waren, namentlich im Kirchspiel Nordtorf, also im eigentlichen Holstein, ums Jahr 1190, [1] wobei es ungewiß bleibt, ob diese von der Zeit der Obotritenherrschaft 804 bis 811 oder von der späteren Slavischen Herrschaft über Holstein in den Jahren 1066 bis 1106 übrig geblieben. Diese Erscheinung aber, daß außerhalb der eigentlich Slavischen Landschaften in geringerer oder größerer Anzahl Familien dieses Volkes wohnten, ist keine vereinzelte; sie wurden selbst absichtlich herbeigezogen von den Landesherrschaften, denn „sie verstanden aus grünem Walde Feld zu machen“, heißt es, [2]
- ↑ Diese Nachricht ist aus den visionibus Godescalci bei Langebek V, 367, 369. Auf S. 369 wird gesagt, es hätten viele Slaven damals im Kirchspiel Nordtorf gewohnt.
- ↑ novalia ex viridi sylva facere heißt es in einer Urkunde von 996. So zog das Kloster Fulda, welches in dem großen Buchenwalde (Buchonia) zwischen Hessen und Ostfranken gegründet war, Slavische Kolonisten herbei. In der Grafschaft Hohenlohe, im Lobedengau am Neckar zwischen Mannheim und Heidelberg und anderswo sind Spuren solcher Slavischen Ansiedelungen nachgewiesen. In das Bambergische und Würzburgische reichten sie weit hinein, und es hält schwer zu sagen, wenn von den dortigen Main- und Rednitzwenden (Moinwinidi et Radenzwinidi) die Rede ist, wieweit das ursprüngliche Slavenland dort reichte oder inwiefern sie auf fremdem Grunde wohnten. Schon Bonifacius spricht in einem Briefe de Sclavis, Christianorum terra inhabitantibus, und Karl der Gr. ließ für jene Slaven 14 Pfarrkirchen gründen. Ihm schreibt man auch die Versetzung von Slaven nach dem linken Ufer der Elbe in den uns näher belegenen Gegenden um Dannenberg, fast von Lüneburg an bis in die Altmark hinein, zu, wo sie sich lange erhalten haben und ihre Sprache erst zu Anfang des vorigen Jahrhunderts mit Gewalt unterdrückt wurde. Nach einer Aeußerung Helmolds (edit Bangert. p. 203) wären sie wenigstens in die Altmark um Salzwedel in das sogenannte Balsamer- und Marscinerland erst nach den Zeiten der Ottonen eingerückt. Siquidem has terras Saxones olim inhabitasse feruntur, tempore scilicet Ottonum, ut videri potest in antiquis aggeribus, qui congesti fuerant super ripas Albiae in terra palustri Balsamorum, sed praevalentibus postmodum Slavis, Saxones occisi et terra a Slavis usque ad nostra tempora possessa. - Um 1235 waren im Lüneburgischen Amte Knesebeck auf gewiß nicht ursprünglich Slavischem Boden (weil in dem Sächsischen Wittingau) Dörfer, die von heidnischen Slaven bewohnt wurden, welche, wenn sie vom Heidenthum nicht ablassen wollten, mit Verjagung bedroht wurden (zu Kuhzehrestorp jetzt Küstorf und Modenburg). S. Riedel, Mark Brandenburg, 1 Thl. S. 60 ff. — Im obern Eichsfelde war in dem Gebiete der Herren von Hanstein eine Wendische Kolonie von 14 Ortschaften, die Windische Mark genannt. In dem dazu gehörigen Dorfe Thalwenden oder Dalwenden westlich von Heiligenstadt an der Leine kommen 1055 noch mansi Slavorum, Slavische Hufen, vor. S. Bernhardi Sprachkarte von Deutschland S. 8. — Aehnliche Notizen über die Verbreitung der Slaven außerhalb ihres eigentlichen Landes lassen sich noch mehr zusammenbringen. So wenig solche auch dem ersten Anscheine nach hier ihren Ort haben möchten, dienen sie doch zur Aufklärung, schon um deßwillen, weil man sieht, daß die Slaven als nutzbar angesehen wurden.