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Version vom 27. April 2007, 19:37 Uhr
Einstige Taufnamen in Schlesien
Das Bild der heutigen Familiennamen dieser Gruppe ist ein getreues Spiegelbild der Rufnamenwelt des 14. und 15. Jahrhunderts, d. h. der großen Auseinandersetzung zwischen den altererbten, langsam im Schwinden begriffenen german. Personennamen und den in stetem Vordringen befindlichen kirchlichen Heiligennamen in deut. oder slaw. Gewande, hin und wieder durchsetzt auch von rein slaw. "Findlingen".
Altdeutsche Rufnamen
Der von den deut. Kolonisten aus dem Mutterlande, d. h. vornehmlich aus den mitteldeut. (thüring., fränk.-hess.) und oberdeut. (bayr.-österreich.) Stammesgebieten mitgebrachte Rufnamenschatz belief sich z. B. in Alt-Liegnitz um 1350 auf etwa 50 Vollnamen, die Sproßformen nicht gerechnet. Wieviele in den vorhergehenden Jahrzehnten verdrängt worden waren, ergibt sich aus der gleichzeitig doppelt so großen Zahl der Erbnamen dieser Gruppe, unter denen sie nun fortleben durften.
An der Spitze der deut. Rufnamen Schlesiens marschierten die Kaisernamen des deut. Mittelalters: Heinrich und Konrad (Hinz und Kunz!), an die nebst vielen anderen Sproßnamen vor allem Heintze und Kuhnert (Kühne, Kuhnt) erinnern. Es folgen mit größerem Abstand Dietrich, Albrecht und Hermann, deren Vertreter unkenntlich als Thiel (Tietze), Opitz und Menzel unter uns weilen. Wie alle beliebten Namen verdanken auch diese drei ihre Blüte bestimmten historischen und literarischen Gestalten: Dietrich von Bern (Theoderich der Große), aus dessen Sagenkreis auch Vasold, Ecke, Runze, Tyrold, Sindram, Laurin und Nibelung auftauchen, dann Adalbert von Prag, dem Heiligen, und dem berühmten Landgrafen Hermann von Thüringen, dem Schirmherrn unserer mittelhochdeut. Dichter und Schwiegervater der allverehrten heiligen Elisabeth.
Der literarische Ursprung heutiger Familiennamen ist im einzelnen noch wenig bekannt. Was man auf Schlesiens Ritterburgen, in Ministerialen- und Patrizierkreisen, eifrig las, die Werke unserer großen Epiker wie auch die späteren Legendendichtungen, das färbte auch die Namengebung dieser höfischen Schichten: Iwan und Gawan (Walwan), Tristram und Isolde, Wigalous und Enede/Eneyde, Gelfrad und Wolfhart, Alexius und Sander und dergleichen mehr sind uns in schles. Urkunden überliefert. Dem Volke aber waren die Stoffe der Helden- und Spielmannsdichtung vertrauter, und davon zeugt noch heute unsere Namenwelt. Der Heldensang der Nibelungen klingt nach in schles. Seidel und Riedel (Siegfried und Rüdiger), in Günther, Giernth und Geißler (Giselher), den königlichen Brüdern, auch in Wohlfahrt und Geifert (Wolfhart und Gelfrat). Als german. Personennamen entpuppen sich auch Geppert, Hilbrich und Weinhold, mundartl. völlig umfrisiert aus Gottfried, (Meier) Helmbrecht und Winand/Wignand und ähnlich die kontrahierten Arlt, Seibt und Weigt aus Arnold, Sibot/Sigbot und Wigand. Auch einige sehr alte Koseformen, um 1350 schon nicht mehr gebräuchlich, leben weiter in Göbel, Hertel, Reichel, Völkel, Weigel/Weigelt, Thamm und Ernst. Über das Schicksal der altdeut. Frauennamen handelt der Anhang [Eintrag] "Metronymika", über weitere Sproßformen von Männernamen der Anhang [Eintrag] "Patronymika".
Die kirchlichen Heiligennamen
Ein gänzlich anderes Gepräge böte Schlesiens Namenlandschaft heute, wenn der Prozeß der Familiennamenbildung ein oder zwei Menschenalter später begonnen hätte. Wir hätten dann fast nur die Namenwelt der Kirche vor uns. Schon um 1400 betragen die Heiligennamen, gemessen an der Zahl der Namenträger, fast das 5-fache der altdeut., während zu Beginn des entscheidenden 14. Jahrhunderts sich beide Gruppen noch die Waage hielten (Vgl. Bahlow, Studien S. 116). Es überragen hier nun alle anderen: Johannes (d. i. der Täufer), der weitaus häufigste Rufname des Mittelalters, und Nikolaus als Patron der Kaufleute und Reisenden; mit etwas Abstand folgen die Apostel Petrus und Jakobus, während Paulus von Petrus stark beschattet wurde. Bezeichnend ist nun für die Weiterbildung der kirchlichen Namenwelt in Schlesien die Beteiligung von vier Sprachen: der deut. Mundart und der drei slaw. Dialekte des Wendischen, Tschechischen und Polnischen. Eine ungeheuer bunte Menge Sproßformen ist das Ergebnis. Namen rein deut. Lautgestalt wie Hensel, Nickel, Jäckel usw. wechseln mit regelrechten Mischformen, die ohne Vorgang dastehen und sich jeder Deutung mitunter hartnäckig widersetzen. In Hentschel, John und Hanke vor allem lebt Johannes fort, daneben auch in Jeschke, Jänisch, Jochmann und in vielen anderen; in Nitsche und Klose: Nikolaus. Besonders fruchtbar hat sich Petrus erwiesen: Pätzold und Pietsch sind seine Hauptvertreter, dazu die Mischform Peschel (Pischel, Pöschel), deut.-tschech. Pechmann, deut.-poln. Posselt, oberschles. Peschke, Perschke, Persig, mundartl. glätzisch Patzelt, Patzier neben Peßler. Ähnlich versteckt lebt auch Jakobus in Joppich, Jockisch, Kube, Kubisch (Gubisch), Kupke usw., während Paulus bescheidener mit Paschke und oberschles. Pawel (Pabel) vertreten ist, wahrscheinlich auch mit Pallaske.
Thomas der Apostel hat sich über Thömel in Dehmel verwandelt, der Gründer des Franziskaner-Ordens in Frenzel und Franzke. Apostel Andreas in Anders und polnisch Jander, Bartholomäus in Barthel und besonders Bartsch, nebst tschech.-deut. Bachmann, der Heilig. Gallus in tschech.-deut. Habel (vgl. Habelschwerdt!), Clemens in Klemmt, Klammt, Kliemt - auch Klich und Klette (Klatte) sind nichts anderes -, und eben so geheimnisvoll Christian in Kirsch und Kittel. Des Heilig. Georg Verehrung spiegelt sich auffallend bunt in böhm. Gierke (Jirke), Görke, lausitzisch Hirche, Tschirch, auch Tschierschke, Tschersich u. ä. Formen, zumal der Name des Böhmenkönigs Georg v. Podiebrad, gewöhnlich Girzik, als dynastische Stütze wirkte. In Wenzel und Stenzel haben wir die eingedeutschten Namen des böhm. und des poln. Nationalheiligen: Wenceslaus und Stanislaus, auch in den Kurzformen Wach und Stach.
Der Anteil des Slawischen an der Gestaltung der Namenlandschaft ist je nach der Gegend verschieden stark und zeigt im einzelnen die mannigfachsten Schattierungen. Zu unterscheiden sind grundsätzlich die Reste der alten wend., tschech. und poln. Taufnamenwelt und die slaw. Formgebung der nicht-slaw. Namen, sowohl der deut. wie vor allem der Heiligennamen. Jene Reste begegnen uns urkundlich nur wie Findlinge in der vom Deutschtum überfluteten Landschaft: so neiderländisch Brunzel und Fechner als Sproßformen von Bronislaw und Wenceslaw, glätzisch-oberschles. Radewagen und Schirdewagen, die über Radewahn und Schirdewahn auf Radowan und Srdowan zurückgehen, wozu sich Rathmann (Rademan) als eingedeutschte Form gesellt. Lehrreich als Beispiel völliger Eindeutschung (Volksetymologie) ist Feige, die Koseform Vojke von Vojslaw (Vojczeslav), zu dessen Sproßformen Woiczech/Woicziech (wie der Heilig. Adalbert ursprünglich hieß) die Familiennamen Woitzik (oberschles.) und Foitzik (niederschles.) gehören. Der hier zutagetretende Lautersatz (Lautsubstitution) von slaw. (poln.) w durch f in deut. Munde begegnet auch in Fröbel neben oberschles. Wrobel (Sperling), in Flach und Fluche neben oberschles. Wlok (der Welsche, Italiener) und wird methodisch wichtig als Schlüssel für Formen wie Fengler neben Wengler (Köhler), Fenger neben Wenger (Ungar) und Fendler neben Wendler.
Mühl ist in schles. Namen immer slaw. milu "lieb", an deut. die Mühle angelehnt, so Mühlbrett, Mühlan, Mühlichen statt Milobrat mit seinen Sproßformen Milan und Milochan, und Mücke steht für Micka, der Koseform von Nikolaus. Lieb- ist (besonders in der Lausitz) oft das gleichbedeutende altslaw. ljub, das sich in wend.-tschech. lib und poln. lub gespalten hat; hierher gehört das Musterbeispiel für die deut. Sprachkraft jener Zeit: Liebig, das sich urkundlich über Libing auf Libnik (Ljubnik), Sproßform von Libomir und Liboslaw, zurückverfolgen läßt. Ähnlich entpuppt sich Littmann als slaw.-deut. Mischform von Litobor, bzw. Litomir und Litoslaw (lit, -ljut = Leute, Volk); und Sieber, sekundär auch Siebert, täuscht deut. Sibert/Sigbert vor statt slaw. Sebor (alt stets Sebir), was aus dem Fehlen der Diphthongierung und des Dentals im Auslaut einwandfrei hervorgeht. Für Leuschner und Tscheuschner vgl. den Anhang "Metronymika". Von den beliebten mit slav ("berühmt"), dem Volksnamen der Slawen, gebildeten Patronymika sind Stanislav als Stenzel und Wenceslav als Wenzel schon genannt. Trotz gleicher Bildungsweise ungleich schwerer zu erkennen sind Bunzel - gewöhnlich mundartl. Form von Bunzlau (= Ort des Boleslav) - vom häufigen Piastennamen Boleslav, zu dessen Koseformen Bolko, auch Polke und Pulke gehören, dann neiderländisch Brunzel von Bronislav; Prenzel (nebst Princke) von Pribislav und Tzaschel/Tzschaschel von Caslaw; mit k-Suffix dagegen: Dirschke/Dierschke von Dirslav, Raschke von Radslav, Wirsig, Werschek u. ä. von Wirchoslav; Woitzik, Foitzik (s. oben) von Woiczeslav; Laske von Ladislav (d. i. Wladislav). Als Schlüssel zum Verständnis einer ganzen Reihe schles. Familiennamen mit der deut. Endung -mann ist wichtig die im Slawischen, vor allem im Tschechischen gebräuchliche Kurzform-Bildung auf ch, gewöhnlich als -ach (mundartl. -och) und -ech erscheinend: Lach/Lachmann von Ladislaw, Bach/Bachmann von Bartholomäus, Pechmann von Petrus, Klich/Kliche von Kliment, Jachmann (Jochmann) von Johannes, Stach von Stanislaw, Mach von Matthias, Wach/Wache und Fach/Fache von Waclav, der tschech. Form von Wenceslav, so daß auch Fech in Fechner (vgl. Mach und Machner) hierdurch seine Deutung fände.
Während das ch-Suffix aufs Slawische beschränkt bleibt, wurde ein anderes Diminutiv-Suffix slaw. Herkunft auch von den Deutschen übernommen: das äußerst beliebte -usch, bzw. -isch. So wurde Bartholomäus zu Bartusch, heute Bartsch, Jacobus zu Jakusch und Jockisch (neben deut. Jäckel), Johannes zu Hanusch, Janusch, heute Hänisch/Hähnisch, Jänisch/Jähnisch neben deut. Hähnel, Jähnel, Heinrich zu Heinusch, Reinold/Reinhold zu Reinsch, Rentsch, Rönsch, Thiel zu Thielusch heute Thielsch und Thielscher/Thielschner. Besonders lebenskräftig erwies sich -usch in Sproßformen weiblicher Namen, den sogenannten metronymischen Bildungen.
Literaturhinweise
Bahlow, H., Schlesisches Namenbuch (1953)