Handbuch der praktischen Genealogie/381: Unterschied zwischen den Versionen
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darüber klagt, daß die Sozialwissenschaft und die Statistik sich gegenseitig ungebührlich vernachlässigt haben, und wenn er die Berührungspunkte beider Gebiete für die Gegenwart beleuchtet, dann hätte er für die Vergangenheit auch Roller heranziehen sollen; vielleicht hätte er sein Urteil (S. 7, Anm.), daß die „historische Statistik" infolge des geringen vorhandenen Materials immer nur spärliche und mangelhafte Resultate erzielen könne, etwas gemildert. So gewiß die moderne statistische Aufnahme irgend welcher Verhältnisse viel vollständiger und gleichartiger ist als die statistische Bearbeitung zufällig vorhandener Quellen, so liefert die letztere doch unter Umständen Ergebnisse, die sich aus modernen Statistiken ''nicht'' gewinnen lassen. Um ein Beispiel herauszugreifen, so zeigt Roller an den sämtlichen Handwerkerfamilien, daß zwar innerhalb eines Jahrhunderts 17 Familien, in denen ein bestimmtes Handwerk vorherrscht, 14 solche gegenüberstehen, bei denen das Handwerk wechselt, aber er faßt sein Urteil in dem allgemeinen Satze zusammen, „daß die Erblichkeit für ''längere'' Zeiten, über ein bis zwei Jahrhunderte hinaus, wohl nur eine große'' Ausnahme'' bildete, daß also der Zwang des Besitzes, der Armut und der Gewohnheit auf die Dauer die Berufswahl der Städter ''nicht'' festlegte" (S. 313). — Hinsichtlich der Einwanderung vom Lande ergibt die in diesem Falle auf die Handwerker beschränkte Untersuchung das Folgende: „Im ganzen stammten aus Städten 748 gegen 212 vom Lande. Betrachtet man aber das Verhältnis der Eingewanderten allein und läßt die aus Durlach stammenden 626 dabei unberücksichtigt, so überwiegt der Zuzug der 212 vom Lande gekommenen Meister nicht unbeträchtlich den der 158 städtischen. Der Unterschied würde sich zuungunsten der letzteren noch mehr verschieben, wenn dem nicht alle die Gewerbe entgegenwirkten, welche, wie die der Gerber, Säckler und Kürschner, der Drechsler, Schlosser und ihrer Nebengewerbe, der Goldschmiede, Zuckerbäcker und ähnlicher, reine oder doch vorzugsweise städtische Gewerbe sind" (S. 318). — Vielleicht noch lehrreicher — ein Gegenstück zu den modernen Verhältnissen — sind die Ergebnisse bezüglich der im Fabrikgewerbe tätigen Bevölkerung. Von Bedeutung war als Fabrikbetrieb in Durlach allerdings nur eine Fayencefabrik, aber die in ihr beschäftigten Arbeiter kamen zu 32,2% aus dem Handwerk und zu 19,9% aus der Landwirtschaft, ja ein beträchtlicher Teil muß sogar dauernd auf dem Lande gewohnt und nur die Arbeit in der Stadt geleistet haben (S. 343/344) — gerade wie in der Gegenwart. Auch ist nachzuweisen, daß, sobald erst einmal die Fabrik gut ging, der Schule entwachsene Knaben ''sofort'' in ihr ihren Broterwerb suchten. Wieder andere Fabrikarbeiter, die in einer oder der anderen bald wieder eingehenden Fabrik Arbeit gefunden hatten, widmeten sich nach dem Ende dieser Beschäftigung wohl oder übel wiederum der Landwirtschaft Alles in allem ergibt sich unzweifelhaft, daß die Löhne der Fabrikarbeiter höher als die der landwirtschaftlichen Tagelöhner und der Handwerksgesellen waren, daß die Fabriken also die besten Arbeitskräfte an sich fesseln konnten. | |||
Alle diese Beobachtungen decken sich mit denen, die wir in modernen Verhältnissen machen, obwohl jene Fabrikbetriebe keine Dampfkraft verwendeten und sich von den ihnen zunächst stehenden handwerksmäßigen Betrieben nur dadurch unterschieden, daß in ihnen Arbeitsteilung nach dem Prinzip der Arbeitszerlegung geübt wurde. Liegen uns hier auch nur Beobachtungen vor, die in einem ganz beschränkten Gebiete gemacht sind, so können wir doch viel daraus lernen, um die herrschenden Anschauungen über gesellschaftliche Wandelungen und im besonderen über die Entstehungszeit und Entstehungsursache der Arbeiterfrage wesentlich abzuändern. Dasjenige, was in diesem Falle und ebenso in zahlreichen anderen Roller zu seinen exakten Ergebnissen verhilft, ist der für jede einzelne Person gemachte Versuch, ihre verwandtschaftliche Zugehörigkeit zu einer Familie, Beruf, Alter usw. festzustellen. Die Angaben, die Roller für eine Stadt in mühseliger systematischer Arbeit bietet, und denen sich viele andere anreihen ließen, mögen die Überzeugung festigen, daß die theoretisch-schematische Darstellung sozialer ''Zustände'' durchaus nicht genügt, daß es darauf ankommt zu zeigen, ''wie sich eine Wandelung in der beruflich-sozialen Schichtung durch die häufige Wiederholung eines grundsätzlich gleichartigen'' |
Aktuelle Version vom 11. Oktober 2012, 10:32 Uhr
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Band 2 Tafel: I • II • III • IV • V • VI • VII • VIII • IX • X • XI | |
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darüber klagt, daß die Sozialwissenschaft und die Statistik sich gegenseitig ungebührlich vernachlässigt haben, und wenn er die Berührungspunkte beider Gebiete für die Gegenwart beleuchtet, dann hätte er für die Vergangenheit auch Roller heranziehen sollen; vielleicht hätte er sein Urteil (S. 7, Anm.), daß die „historische Statistik" infolge des geringen vorhandenen Materials immer nur spärliche und mangelhafte Resultate erzielen könne, etwas gemildert. So gewiß die moderne statistische Aufnahme irgend welcher Verhältnisse viel vollständiger und gleichartiger ist als die statistische Bearbeitung zufällig vorhandener Quellen, so liefert die letztere doch unter Umständen Ergebnisse, die sich aus modernen Statistiken nicht gewinnen lassen. Um ein Beispiel herauszugreifen, so zeigt Roller an den sämtlichen Handwerkerfamilien, daß zwar innerhalb eines Jahrhunderts 17 Familien, in denen ein bestimmtes Handwerk vorherrscht, 14 solche gegenüberstehen, bei denen das Handwerk wechselt, aber er faßt sein Urteil in dem allgemeinen Satze zusammen, „daß die Erblichkeit für längere Zeiten, über ein bis zwei Jahrhunderte hinaus, wohl nur eine große Ausnahme bildete, daß also der Zwang des Besitzes, der Armut und der Gewohnheit auf die Dauer die Berufswahl der Städter nicht festlegte" (S. 313). — Hinsichtlich der Einwanderung vom Lande ergibt die in diesem Falle auf die Handwerker beschränkte Untersuchung das Folgende: „Im ganzen stammten aus Städten 748 gegen 212 vom Lande. Betrachtet man aber das Verhältnis der Eingewanderten allein und läßt die aus Durlach stammenden 626 dabei unberücksichtigt, so überwiegt der Zuzug der 212 vom Lande gekommenen Meister nicht unbeträchtlich den der 158 städtischen. Der Unterschied würde sich zuungunsten der letzteren noch mehr verschieben, wenn dem nicht alle die Gewerbe entgegenwirkten, welche, wie die der Gerber, Säckler und Kürschner, der Drechsler, Schlosser und ihrer Nebengewerbe, der Goldschmiede, Zuckerbäcker und ähnlicher, reine oder doch vorzugsweise städtische Gewerbe sind" (S. 318). — Vielleicht noch lehrreicher — ein Gegenstück zu den modernen Verhältnissen — sind die Ergebnisse bezüglich der im Fabrikgewerbe tätigen Bevölkerung. Von Bedeutung war als Fabrikbetrieb in Durlach allerdings nur eine Fayencefabrik, aber die in ihr beschäftigten Arbeiter kamen zu 32,2% aus dem Handwerk und zu 19,9% aus der Landwirtschaft, ja ein beträchtlicher Teil muß sogar dauernd auf dem Lande gewohnt und nur die Arbeit in der Stadt geleistet haben (S. 343/344) — gerade wie in der Gegenwart. Auch ist nachzuweisen, daß, sobald erst einmal die Fabrik gut ging, der Schule entwachsene Knaben sofort in ihr ihren Broterwerb suchten. Wieder andere Fabrikarbeiter, die in einer oder der anderen bald wieder eingehenden Fabrik Arbeit gefunden hatten, widmeten sich nach dem Ende dieser Beschäftigung wohl oder übel wiederum der Landwirtschaft Alles in allem ergibt sich unzweifelhaft, daß die Löhne der Fabrikarbeiter höher als die der landwirtschaftlichen Tagelöhner und der Handwerksgesellen waren, daß die Fabriken also die besten Arbeitskräfte an sich fesseln konnten.
Alle diese Beobachtungen decken sich mit denen, die wir in modernen Verhältnissen machen, obwohl jene Fabrikbetriebe keine Dampfkraft verwendeten und sich von den ihnen zunächst stehenden handwerksmäßigen Betrieben nur dadurch unterschieden, daß in ihnen Arbeitsteilung nach dem Prinzip der Arbeitszerlegung geübt wurde. Liegen uns hier auch nur Beobachtungen vor, die in einem ganz beschränkten Gebiete gemacht sind, so können wir doch viel daraus lernen, um die herrschenden Anschauungen über gesellschaftliche Wandelungen und im besonderen über die Entstehungszeit und Entstehungsursache der Arbeiterfrage wesentlich abzuändern. Dasjenige, was in diesem Falle und ebenso in zahlreichen anderen Roller zu seinen exakten Ergebnissen verhilft, ist der für jede einzelne Person gemachte Versuch, ihre verwandtschaftliche Zugehörigkeit zu einer Familie, Beruf, Alter usw. festzustellen. Die Angaben, die Roller für eine Stadt in mühseliger systematischer Arbeit bietet, und denen sich viele andere anreihen ließen, mögen die Überzeugung festigen, daß die theoretisch-schematische Darstellung sozialer Zustände durchaus nicht genügt, daß es darauf ankommt zu zeigen, wie sich eine Wandelung in der beruflich-sozialen Schichtung durch die häufige Wiederholung eines grundsätzlich gleichartigen