Berichte und Gesuche (deutsche Landgemeinden in Südrußland)/009

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Berichte und Gesuche (deutsche Landgemeinden in Südrußland)
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Datei:Berichte und Gesuche 1892.djvu
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Denkschrift


über die sich vorbereitende Zerrüttung der deutschen Dorfgemeinden in Südrußland, in Folge der Verletzung ihrer alten Landbesitzordnung.


Zu Ende 1881 und Anfang 1882 verfaßt von
S. Kludt.

Zuerst verletzten die Landbesitzordnung der auf früherem Domänenlande seßhaften deutschen Ansiedler des Südens die Verfasser ihrer Besitztitel, dann die Bauern- und Gerichtsbehörden und die Notare: die Besitzbriefe bestimmen die Art und Ordnung des Bodenbesitzes der Ansiedler weder dem Colonial-Ustaw[1] gemäß, auf Grund dessen diese Bodenordnung entstanden und erstarkt ist, noch dem Gesetz von 1871 gemäß, welches der Beibehaltung derselben keine Hindernisse entgegensetzt, die bäuerlichen und gerichtlichen Behörden und Personen aber practiziren auf Grund der Besitzbriefe nun schon mehrere Jahre lang eine solche Gesetzanwendung in Bezug auf die Bodenverfassung der deutschen Ansiedler, welche augenscheinlich zur Zerstörung der Dorfgemeinden führen muß.

Um eine klare Vorstellung von der Agrarverfassung der Kolonisten zu erhalten, ist es nicht überflüssig, sich des Bodenbesitzes der russischen Bauern zu erinnern, welcher dreierlei Art ist: 1) Die Benutzung des Landes durch die ganze Gemeinde (общинное пользованіе[2] землю), so zwar, daß die Familien bildenden Hausgenossenschaften (семья) des Dorfes in der Benutzung des Landes von Zeit zu Zeit nach der Zahl der lebenden männlichen Seelen ausgeglichen werden (Art. 113 der Special-Bauerordnung für Groß-, Neu- und Weißrußland); 2) die hofweise vererbliche oder Parzellenbenutzung (подворье[3]-послѣдственное[4] или участковое пользованіе[2]), die da besteht, wo die Dorfgemeinde die periodische Umtheilung des Gemeindelandes abgeschafft, dieses ein für allemal in Familienparcellen eingetheilt und diese an die Hausbesitzer zu deren vererblicher Nutznießung vergeben hat (daselbst Art. 115). Schon in den Regeln für die Bodenverfassung der Reichsbauern von 1866 wird die Parzellennutznießung persönlicher Besitz genannt, und nach den Erklärungen des Dirigirenden Senats aus den letztverflossenen Jahren besitzen die Besitzer solcher beständigen Parzellen dieselben als ihr volles Privateigenthum. Erst die neueste Gesetzgebung hat in dieser Beziehung eine Schwenkung gemacht: Das Gesetz vom 26. Mai 1881 beabsichtigt, den Bauern in dem Verfügungsrecht über seinen Hof im Dorfe, wenn dieser sein einziges Obdach enthält, zu beschränken. 3) Der gemeinschaftliche



  1. GenWiki-Red.: 'Ustaw' = Уставъ 1) das Statut, Reglement, die Verordnung, das Gesetz; 2) der Ustaw, die Ustawschrift - lt. PAWLOWSKY, J. "Russisch-Deutsches Wörterbuch"; Riga, Leipzig 1911; 3. Auflage, S. 1670; vgl. u. a. VolynWiki: Ustaw
  2. 2,0 2,1 GenWiki-Red.: пользованіе (polsowanije) = die Benutzung, Nutznießung, der Gebrauch; п. правомъ (p. prawom) = der Genuß eines Rechtes; предоставлять кому право п-ія (predostawljat komu prawo p-ija) jemandem Nutzungsrechte einräumen - lt. PAWLOWSKY, J. "Russisch-Deutsches Wörterbuch"; Riga, Leipzig 1911; 3. Auflage, S. 1160
  3. GenWiki-Red.: подворье (podworje) = 1) Haus und Hof, Haus und Kirche (auch das Absteigequartier in einer Stadt); 2) die Einkehr, Herberge, das Hotel, Gasthaus; 4) (Ostrußland) ein zu gemeinsamen Zwecken der Dorfgemeinde gemiethetes Bauernhaus; 5) (prov.) eine zu vermiethende Wohnung - lt. PAWLOWSKY, J. "Russisch-Deutsches Wörterbuch"; Riga, Leipzig 1911; 3. Auflage, S. 1090
  4. GenWiki-Red.: послѣдственно (posljedstwenno) = [adv.] als Folge, Resultat; послѣдственный (posljedstwennuj) = [adj.] woraus folgend, resultierend - lt. PAWLOWSKY, J. "Russisch-Deutsches Wörterbuch"; Riga, Leipzig 1911; 3. Auflage, S. 1199